Mülheim. Den Bäckereien im Ruhrgebiet fehlt der Nachwuchs. Gelingt der anstehende Generationenwechsel nicht, geht wohl ein großes Stück Vielfalt verloren.
Wenn Walter Lübben um 2.30 Uhr seine tägliche Arbeit aufnimmt, ist es draußen noch stockdunkel. Der 65-jährige Mülheimer ist Bäcker. Sieben Tage die Woche, zehn Stunden am Tag. Wenn Lübben sich die mehligen Hände reibt und sagt: „Mein Beruf ist für mich alles“, dann glaubt man ihm das sofort. Trotzdem ist Ende des Jahres Schicht im Ofenschacht: Lübben geht in den Ruhestand, in einen mehr als verdienten. Bleibt nur die Frage der Nachfolge zu klären – und das ist gar nicht so leicht.
Der Strukturwandel im Bäckerhandwerk ist im vollen Gange. Gab es 1954 bundesweit noch gut 56.000 Betriebe, liegt die Zahl inzwischen bei etwas mehr als 12.000. Auch die Zahl der Auszubildenden nimmt kontinuierlich ab (siehe Tabelle).
Der Bäckerzunft fehlt es an Nachwuchs
„Bäcker zu werden, ist nicht mehr so richtig hip. Die jungen Menschen wollen sich heute selbst verwirklichen“, sagt Frank Köster, Geschäftsführer der Bäcker-Innung Rhein-Ruhr. Auch die Arbeitszeiten und -konditionen entsprächen nicht mehr dem, was junge Menschen sich wünschen und anstreben: eine 60-Stunden-Woche, ein Arbeitsbeginn um zwei Uhr nachts, ein Ausbildungsgehalt, das in den ersten drei Lehrjahren gerade einmal zwischen 650 und 800 Euro liegt (ab 1. September gibt es eine Erhöhung von bis zu 50 Euro monatlich).
„Viele Bewerber orientieren sich inzwischen in Richtung dualem Bildungsweg oder Studium“, sagt Köster. Dabei bräuchte es dringend junges Personal für den anstehenden Generationenwechsel in der Bäckerzunft. „Die Altersstruktur ist inzwischen jenseits der 50“, so Köster weiter, „aber der Stellenwert des Berufs hat eben abgenommen.“
Erfolgsrezept: „Nicht nur Einheitsbrei machen“
Dabei gebe es auch im Bäckerhandwerk die Chance, sich zu verwirklichen und seiner Kreativität freien Lauf zu lassen: „Man erschafft mit seinen eigenen Händen ein schönes Produkt. Man kann seine eigenen Brote oder Kuchen kreieren, sich spezialisieren. Man kann sich selbstständig machen. Wer seine Nische erkennt, der hat einen krisensicheren Job“, so Köster.
Der Mülheimer Bäcker Walter Lübben kann das bestätigen: „Wir schließen nicht, weil es uns schlecht geht. Im Gegenteil! Es läuft gut bei uns.“ Lübbens Erfolgsrezept ist: „Nicht nur Einheitsbrei machen.“ In seinem Sortiment sieht man Vollkornspezialitäten, vegane Snacks, Teilchen aus echtem Blätterteig, „sehr beliebt sind auch unsere Hamburger-Brötchen“, erzählt Lübben.
Bei der Suche nach neuen Produkten geht sein Betrieb wie folgt vor: „Meine Frau, die hinterm Tresen steht, ist das Ohr am Kunden. Ich setze das dann in die Tat um und feile herum, bis es gut ankommt.“ Auch besondere Kundenwünsche werden berücksichtigt: „Ich hatte mal einen Kunden, der wollte ein Klavier als Torte. Ein anderer ein Horn aus Brotteig, gefüllt mit kleinen Gebäcken.“
Ketten-Bäckereien sind die größte Konkurrenz
Diesen besonderen Service können Bäckereiketten oder Großbetriebe wie Backwerk oder Kamps nicht leisten. Dennoch sind sie die größte Konkurrenz für Familienbetriebe, vor allem weil sie in großen Mengen und damit günstiger produzieren können. Laut einer Sprecherin von Backwerk „trägt auch das Prinzip der Selbstbedienung zum Erfolg von Backwerk bei“.
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Außerdem gab sie „effiziente Arbeitsabläufe und Prozesse“ als Grund für ihre kostengünstige Produktion an. Gemeint sind damit zentral vorproduzierte und tiefgekühlte Teiglinge, die in den Filialen vor Ort aufgebacken werden.
Backwerk wurde 2001 in Essen gegründet und konnte mit seinem Selbstbedienungskonzept schnell hohe Gewinne einfahren. 2017 wurde es von der Schweizer Lebensmittel-Holding Valora übernommen. Backwerk zählt inzwischen über 300 Standorte in Deutschland, davon rund 45 im Ruhrgebiet.
Individualität schwindet, Vielfalt geht verloren
Bei der Bäckereikette Kamps sind es sogar noch mehr: Deutschlandweit betreibt sie 440 Filialen, davon 86 im Ruhrgebiet. Kamps bezeichnet sich als „handwerkliche Großbäckerei“, die „gleichbleibende Qualität“ liefert. Heißt aber auch: Während Bäcker Lübben seine Mehle selber mahlt und laufend an neuen Rezepturen feilt, finden sich an den 440 Kamps-Standorten vor allem standardisierte Produkte wieder.
Individualität, das wünscht sich Bäcker Lübben auch bei der Suche nach einem Nachfolger: „Es wäre schön, wenn das jemand macht, der eigene Ideen mitbringt. Vielleicht ja sogar zwei, die sich die Arbeit teilen.“
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Die Suche läuft, noch ist ungewiss, ob Lübben einen Nachfolger nach seinem Geschmack findet. Er selbst freut sich auf den Ruhestand. Auch, wenn er noch nicht so genau wisse, „wie das werden soll“. „Vielleicht“, sagt er, „kann ich ja auch immer noch mal reinkommen und was Kleines in der Backstube machen.“