Essen. . Der traditionsreiche Modehändler Boecker ist aus dem Revier verschwunden. Der Wettbewerber Sinn dagegen expandiert. Textilgeschäft im Umbruch.
Der mittelständische Modemarkt ist im Umbruch. Die Gegensätze könnten nicht krasser sein: Während die Traditionskette Boecker in den vergangenen Monaten im Ruhrgebiet ganz von der Bildfläche verschwunden ist, setzt der Wettbewerber Sinn zur Expansion an. Gerry Weber hat Insolvenz angemeldet. Hugo Boss, Esprit und Adler leiden unter schlechten Zahlen. Große Ketten wie Zara und H&M kamen dagegen gut durch 2018. Was ist los im Textilhandel?
„Wir beobachten eine sehr unterschiedliche Marktlage“, sagt Axel Augustin, Geschäftsführer beim Handelsverband Textil BTE. Einige Modeanbieter hätten 2018 unter steigenden Personalkosten und einem rückläufigen Konsumklima gelitten. „Manche Händler wachsen aber auch und sind erfolgreich. Da muss man sich jeden Standort ganz genau angucken“, so Augustin.
Noch im Sommer hatte Boecker seine Kunden angemailt und für die große Filiale im Mülheimer Rhein-Ruhr-Zentrum einen Umbau angekündigt. Doch plötzlich war das Modehaus, das in seinen Glanzzeiten in nahezu jeder Ruhrgebietsstadt vertreten war, ganz aus dem Center verschwunden. Auch in Dortmund machte Boecker dicht.
Nach der Pleite des einstigen Wattenscheider Mode-Imperiums Steilmann waren vier Boecker-Filialen, darunter Dortmund und Mülheim, an die seinerzeit frisch gegründete Crossover GmbH mit Sitz in Dortmund gegangen. Sie gehörte der Familie Giazzi, die zusammen mit der Familie Radici die Mehrheit an Steilmann hielt. Die Häuser Remscheid, Kleve und Heinsberg wurden dagegen von der U&F Moden aus Hamm übernommen.
Boecker in Remscheid, Kleve und Heinsberg läuft
Dem Unternehmen geht es gut. „Wir sind mit unserer Geschäftsentwicklung sehr zufrieden und konnten im Jahr 2018 den Umsatz und Rohertrag leicht steigern. Alle drei Geschäfte sind rentabel“, sagte Frank Haske, Geschäftsführer von U&F Moden, unserer Redaktion. Die Crossover GmbH von der anderen Boecker-Schiene scheint indes von der Bildfläche verschwunden zu sein und ist nicht mehr erreichbar.
Die ebenso traditionsreiche Kette Sinn aus Hagen hat dagegen unlängst erst eine nagelneue Filiale in Recklinghausen eröffnet. Und der Generalbevollmächtigte Friedrich-Wilhelm Göbel schmiedet bereits weitergehende Pläne. Ende März will er seine 24. Sinn-Filiale in Neuwied eröffnen.
„Das Textilgeschäft ist beinhart. Es wird in den nächsten Monaten und Jahren tiefgreifende Veränderungen bei Herstellern und Händlern geben“, sagt Göbel voraus. Auf den Wettbewerb reagiert er mit lokalen Antworten. „Keine unserer Sinn-Filialen sieht aus wie die andere. Entscheidungen werden für jede Filiale individuell auf Basis der lokalen Gegebenheiten getroffen. Darin liegt die Chance.“
Sinn, sagt Göbel, wolle erst gar nicht mit großen Ketten wie Peek & Cloppenburg mithalten. „Unsere Konkurrenten sind die lokal aktiven Händler, manchmal Filialisten, oft auch inhabergeführte Häuser wie etwa Baltz in Bochum“, so der Händler.
Gerry Weber beantragt Insolvenzverfahren
Gerry Weber, Modehersteller und -händler aus Halle in Westfalen, indes ist bereits vor geraumer Zeit wirtschaftlich ins Trudeln geraten. Am 25. Januar stellte das Unternehmen mit seinen rund 580 Mitarbeitern Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Ziel ist die Sanierung des Unternehmens. Die Marken Hallhuber, Taifun und Samoon seien vom Insolvenzverfahren nicht betroffen, teilte Gerry Weber mit.
Die roten Zahlen, die das westfälische Unternehmen zuletzt eingefahren hatte, stehen fast sinnbildlich für die Probleme des Mittelstands in der Branche. Gerry Weber ist prominent in Innenstädten und Einkaufscentern vertreten, hat nach Einschätzung von Experten jedoch den stark wachsenden Onlinehandel vernachlässigt. Und der Konzern räumte ein, dass er sich nicht weiterentwickelt habe. „Wir haben unser Produkt besonders für die Kundinnen im Alter von 50 plus nicht weiterentwickelt“, sagte unlängst ein Manager. Das Image der Kernmarke Gerry Weber sei bieder und altbacken geworden. Gleichzeitig sprechen große Ketten wie Zara, H&M und Primark immer mehr junge Kunden an.
Von den Innenstädten in schicke Vorortzentren
Mittelständische Textilhändler scheinen sich aber auch zunehmend von den großen Innenstädten abzuwenden. Die Edelboutiquen-Kette von Drahten etwa verlässt die Essener City und zieht in den angesagten Stadtteil Rüttenscheid. „Essen wird seinem Ruf als Einkaufsstadt nicht mehr gerecht. Das Umfeld in der Innenstadt passt nicht mehr zu unserem Konzept“, sagte Inhaber Marten von Drathen unlängst dieser Redaktion.
Auch für die seine Unternehmenszentrale hat der junge Unternehmer neue Pläne. Sie will er von Ratingen ins schicke Dorf des Mülheimer Stadtteils Saarn verlegen und dort auch eine Filiale eröffnen. Nach Saarn verschlägt es auch den Duisburger Herrenausstatter Harders. Inhaber Frank Servatius ist einfach nicht mehr zufrieden mit dem Duisburger Traditionsstandort am Sonnenwall. „Hochwertige Geschäfte ziehen mehr und mehr ab, Laufkundschaft kommt kaum noch vorbei“, bedauert er. „Man muss leider sagen, dass sich das Niveau des Angebots hier verschlechtert.“