Essen.. An hässlichen Flecken auf Straßen und Plätzen kann man erkennen: Kaugummi kauen ist beliebt – Ausspucken erst recht. Viele Städte kapitulieren vor dem Dreck. Die Industrie setzt auf Erziehung und gibt die Schuld den Verbrauchern. Aber müssen Kaugummis so kleben? Zwei Hersteller meinen: nein!

Der Süßwaren-Riese Wrigley hat es schriftlich von der EU: Er darf damit werben, dass sich beim Kauen seiner Zahnschutz-Kaugummis eine „positive Wirkung einstellt, wenn mindestens dreimal täglich nach den Mahlzeiten 20 Minuten lang 2-3 g zuckerfreier Kaugummi gekaut werden“. Und danach? Dass Kaugummis nach dem Ausspucken Straßen nicht mehr verdrecken, dazu hat die EU bis dato noch nichts entschieden.

Gut für Zähne heißt nicht gleichzeitig gut für Schuhsohlen: Kaugummis sind ein Dauer-Ärgernis auf Straßen und Wegen. In Düsseldorf ist das frisch verlegte helle Altstadtpflaster von unansehnlichen Kaugummiflecken überzogen. Erziehungsversuche bei Schmatz-Fans - etwa durch Mahnungen in Piktorgrammform auf Kaugummipackungen - fruchten offenkundig nicht. Ausspuck-Verbote gibt es zwar, sogar Bußgeldtabellen - aber wer kümmert sich schon darum.

Viele Städte kapitulieren vor dem Kaugummi-Dreck

Gut und gerne fünf Jahre dauert es mindestens, bis ein Gummifleck verwittert. Um sie schneller zu entfernen braucht es Spezialgeräte oder Haushaltstricks; verschmutzte Textilien etwa lassen sich leichter reinigen, wenn sie zuvor ein paar Stunden in der Kühltruhe auf Eis gelegt werden. Bei Bürgersteigen ist das nicht praktikabel, daher haben Hersteller Geräte konstruiert, die „Gum Buster“ oder „Gum Laser“ heißen -  Dampfstrahler auf Rollen. Viele Städte haben aber längst vor den Kaugummikitschen kapituliert.

„Wir unternehmen nichts“, sagt etwa Thomas Kampmann, Sprecher der Stadt Dortmund. Zuletzt sei den fiesen Kaugummiflecken zur Fußball-WM 2006 auf der Haupteinkaufsstraße in der Innenstadt zu Leibe gerückt worden. „Das hatte 12.000 Euro gekostet“, erinnert sich Kampmann. Auch in Essen ist das Thema durchgekaut: „Kaugummis entfernen kann sich die Stadt nicht leisten“, sagt Stadtsprecherin Jeanette Kern, vielmehr setzte man auf Erziehung, etwa beim Projekt "Essen picobello". Duisburg stellt immerhin pro Jahr 60.000 Euro für das Kaugummi-Entfernen ins Budget. Das Geld reicht jedoch nur für ein paar Quadratmeter in der Innenstadt.

"Schlechte Kinderstube der Verbraucher"

Einen einzigen Kaugummifleck zu entfernen dauert einer Studie nach zwei Minuten und kostet - pro Flecken - bis zu drei Euro. (Foto: Birgit Schweizer/WAZ FotoPool)
Einen einzigen Kaugummifleck zu entfernen dauert einer Studie nach zwei Minuten und kostet - pro Flecken - bis zu drei Euro. (Foto: Birgit Schweizer/WAZ FotoPool) © Unbekannt | Unbekannt

Müssen Kaugummis so kleben? Die Hersteller nicken heftig mit dem Kopf: „Um die vom Konsumenten gewünschten Kaueigenschaften zu erzielen, verfügen Kaugummis als Nebeneffekt gemäss heutigem Stand der Entwicklung über eine gewissen Klebkraft auf Oberflächen“, heißt es etwa beim Schweizer Süßwarenproduzenten Frey, dessen Produkte auch in Deutschland zu haben sind. Und Marktführer Wrigley erklärt, „es ist eine der höchsten Prioritäten unserer Forschungsabteilung, eine Kaumasse zu entwickeln, die weniger klebt und/oder sich nach unsachgemäßer Entsorgung leichter ablösen lässt.“ Noch allerdings sei keine Lösung gefunden.

Beim Verband der deutschen Süßwarenindustrie (BdSI) reagiert Kaugummi-Lobbyistin Marie Dubitzky regelrecht allergisch auf Nachfragen zu dem Thema. „Schäden im Straßenbild haben doch mit dem Produkt Kaugummi nichts zu tun“. Die Industrie setze auf Aufklärung und auf „die gute Kinderstube der Verbraucher“, mehr könne man nicht machen, meint Dubitzky: „Wir können schließlich nicht jeden Kaugummikauer zum Abfalleimer begleiten“.

Rohöl im Mund - das klebt

Während die Lebensmittelbranche auf der kürzlich in Köln zu Ende gegangenen Internationalen Süßwarenmesse ISM 2012 Neuheiten wie Schokolade mit Steckrüben oder Aloe Vera vorstellte, fand sich bei Kaugummis keine Innovation, die etwa Kommunen glücklich machte. Was auch daran liegt, dass die Süßwarenindustrie Kaugummi nach wie vor auf Rohölbasis herstellt; wie gut das klebt, ist bei Ölkatastrophen stets zu beobachten. Grundmittel für Kaugummimasse ist das Polymer „Oppanol“, das der badische Chemieriese BASF als weltweit größter Hersteller produziert.

Glaubt man dem Berliner Unternehmen Phyto Treasures, dann liegt die Alternative in der Natur. Chicza (gesprochen „Tschicktsa“) heißt die Kaumasse, die im Mund wie Gummi wirkt, aber auf der Straße nicht mehr wie Beton haften bleiben soll. Dahinter steckt Natur-Latex eines Regelwaldbaums aus Mexiko. Die von örtlichen Kommunen geerntete und zu kleinen schokoladenähnlichen Tafeln verarbeiteten Kaugummis sind bis dato ausschließlich im Bio-Handel zu finden. „Chicza ist zu 100 Prozent biologisch abbaubar und klebt nicht fest“, preist Mike Albring, der dem Fairtrade-Projekt seit zwei Jahren in Deutschland einen Markt zu schaffen versucht. „Ein See-Container mit etwa 250.000 Packungen“ importiere Albrings Firma pro Monat in Deutschland. Zum Vergleich: Der Jahres-Kaugummiumsatz hierzulande lag 2011 bei insgesamt 635 Millionen Euro. Im Jahr zuvor waren es laut BdSI sogar 650 Millionen Euro.

Runterschlucken, statt ausspucken!

Neu ist Chicza im übrigen nicht, sagt Albring: „Noch nach dem zweiten Weltkrieg waren alle Kaugummis aus Naturstoffen“. Unterdessen stellt ein Unternehmen in Großbritannien eine selbst entwickelte „völlig neuartige“ Kaubase vor. Revolymer heißen Base und Firma. Die vom walisischen Flintshire aus bis dato nur in Großbritannien vertriebenen Kaugummis namens „Rev7“ seien wasserverträglich und blieben deshalb nach dem Ausspucken nicht haften. In Deutschland ist Revolymer noch nicht auf dem Markt, sagt der Kiosk- und Tankstellenshop-Ausrüster Lekkerland, „aber wir haben von dem Thema schon gehört“.

Beim BdSI glaubt unterdessen Kaugummi-Fachfrau Dubitzky kaum, dass sich mit einem Claim wir ‚klebt nicht auf dem Bürgersteig’ gut für Kaugummi Werbung machen ließe: „Was hat denn der Gehsteig in meinem Mund zu suchen?“ Für Kunden, meint Dubitzky, sei das kein Kaufkriterium.

Beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bringt man unterdessen einen anderen Aspekt in die Debatte: „Wer sagt denn, dass man Kaugummis ausspucken muss?“ fragt Sprecher Jürgen Kundke. Die EU jedenfalls schreibe vor, „dass Kaugummis so sicher sein müssen, dass man sie auch verschlucken kann“ - damit Verbraucher vor einem „vorhersehbaren Fehlgebrauch“, wie es auf Juristendeutsch heißt, geschützt sind. Für „Chicza“-Importeur Mike Albring sei das mit Blick auf die Kunden von Biokaugummi ohnehin die Regel: „Viele wollen ihre Umgebung nicht verdrecken", meint Albring: "Die schlucken es runter.“