Wuppertal. Der Wuppertaler Kommunikationsdesigner Marcus Sonntag befasst sich wissenschaftlich mit der Kaugummi-Entsorgung. 900 Millionen Euro, hat er ausgerechnet, geben die deutschen Städte jährlich dafür aus, ausgespuckte Kaugummis vom Pflaster zu lösen.
„Fünf Jahre Haft” kriegt das Kaugummi, ausgelutscht und ausgespuckt, auf dem Bürgersteig. Ungefähr so lange bleibt es kleben, hat Marcus Sonntag erforscht, (wenn es nicht entführt wird unter leisen Sohlen). Der Mensch aber, der auslutschte und -spuckte, haftet nur, falls er erwischt wird, und dann kostet es ihn vielleicht fünf Euro. Deutschland aber kostet es 900 Millionen.
Beweisfotos zeigen: Man sieht keinen Erfolg
Ungefähr so viel, hat der Wuppertaler Kommunikations-Designer Sonntag ausgerechnet, würden die Städte jährlich für die Beseitigung von Kaugummi-Flecken auf ihren Straßen und Wegen ausgeben – wenn sie es denn überhaupt versuchten. Denn mit den bestehenden Möglichkeiten sind weder Gummi noch das Problem wirklich gelöst: „Kosten und Nutzen stehen in keinem Verhältnis”, sagen die Entsorger, der Aufwand sei viel zu hoch. Viele haben „Gumlaser”, „Gumfree” und „Gumbuster”, diese Höllenputzmaschinen, wieder in die Abstellkammer verbannt, weil die unterm Strich bis zu drei Euro schlucken, um ein Gummi von der Straße zu holen, das ohnehin ersetzt wird durch ein neues, auf der Stelle sozusagen. „Man sieht keinen Erfolg”, weiß Sonntag. Und er hat Beweisfotos dafür.
Monate ist er durch Wuppertal gestreift für seine Diplomarbeit, den Blick gesenkt, und hat das Grauen im Bild gebannt: 35 bis 40 entsorgte Kaugummis zählte er pro Quadratmeter, „vor Gastro-Betrieben oder an Bushaltestellen sind es bis zu 80”. Ausgetretene, verfärbte Flatschen, verwitterte Flecken, die einst frische Streifen waren oder Dragees zuckerfrei, und grau alles, was einmal rosa angefangen hat, gelb oder himmelblau.
Ausgespuckt, weil seine Zeit gekommen war: das Kaugummi lästig wurde, nicht mehr schmeckte, weil der Kaumuskel müde war oder ein Kaffee gerade heiß.
Vom Zeitvertreib zur Medizin
Übrigens von jedem: 139 Gummis mahlt der menschliche Kiefer im Schnitt pro Jahr, und beileibe nicht nur der junge: Von der blasenwerfenden Süßigkeit, dem coolen Zeitvertreib ist das „Gum” längst zur Medizin mutiert; wird beworben als Rauchentwöhner, Zahnpflege und Mittel gegen Mundgeruch. Und wird, flop, entsorgt, wenn es seine Schuldigkeit getan hat. „Aus Unachtsamkeit oder Leichtsinn”, sagt Marcus Sonntag, der selbst fleißig kaut, aber angeblich immer anständig entsorgt, „vielen Leuten ist gar nicht bewusst, dass das ein Delikt ist”.
Und das Kaugummi Müll. Ein „Nebenprodukt von Ordnung”, formuliert der Designer in seiner Arbeit. „Ein Objekt ist Schmutz, wenn es nicht in den Kontext der Gesellschaft passt.” Was gar nicht so schlimm klingt wie es aussieht. „Unart oder Streetart?”, fragt Sonntag, Straßenkunst also? Aber er hat sich entschieden: „Keine Kunst”, schrieb er auf eins seiner Plakate. 163 sind davon entstanden für 105 „Kaugummi-Kommunikationskonzepte für die Straße”.
„Pfui” steht auf den Postern, „igitt” oder „bäh”, und die Pünktchen sind alle – genau: „Ich musste die alle kauen”, eine „Geschmacksreizüberflutung” sei das gewesen oder, deutlicher: „ganz widerlich”. Immerhin hat der Professor das mit einem „Sehr gut” belohnt. Nicht das Kauen, die Kampagne. Graphische Varianten gibt es da, Fotos, die Ekel machen, Schuhsohlen, deren Träger stehend kleben, und gute Sprüche: „Immer mehr Zahnpfleger landen auf der Straße”, „Lieber schlucken statt spucken” oder schlicht: „Schandfleck”.
Mülleimer laden ein: „Gib Gummi”
Für den, der sein Kaugummi da noch immer nicht bei sich behält, hat Marcus Sonntag gleich noch Aufkleber entworfen, etwa die Namen der „Täter”, neben das Corpus delicti auf die Straße zu pappen: Chantal, Dagmar, Achmed. Oder Müllbehälter, die sagen, wo das ausgediente Stück hingehört: „Gib Gummi” oder „Alles im Eimer”. Nun müssen die Städte den 28-Jährigen nur noch entdecken, die Lösungen hat er jedenfalls vorgekaut. Wuppertal will allerdings erst noch seinen Winterdienst abwickeln. Und Berlin hat sich gemeldet – nun, das hat wohl Interesse, aber ja selten Geld.