Essen. Die Folgen des Ukraine-Krieges treffen Thyssenkrupp. Konzernchefin Merz bereitet die Beschäftigten auf Kurzarbeit vor. Stahlsparte betroffen.

Angesichts des Krieges von Russland gegen die Ukraine bereitet Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz die Belegschaft des Konzerns auf Kurzarbeit vor. „Wir stellen Ausgaben auf den Prüfstand, in manchen Bereichen müssen wir uns auf die Notwendigkeit von Kurzarbeit vorbereiten“, teilt die Vorstandschefin den Beschäftigten in einem internen Schreiben mit, das unserer Redaktion vorliegt. Das Unternehmen wolle angesichts der aktuellen Lage „gruppenweit Gegenmaßnahmen“ ergreifen. Dem Vernehmen nach gibt es unter anderem in der wichtigen Stahlsparte Gespräche zu Kurzarbeit.

Der seit Jahren angeschlagene Essener Stahl- und Industriegüterkonzern gerät wegen des Krieges massiv unter Druck. In einer Pflichtmitteilung für die Börse erklärte die Konzernleitung in der Nacht zum Donnerstag, das Unternehmen stelle sich auf negative Folgen für den Geschäftsverlauf angesichts der „weitreichenden gesamtwirtschaftlichen und geopolitischen Folgen des Kriegs“ ein. Am Morgen nach der Mitteilung fiel der Aktienkurs von Thyssenkrupp zwischenzeitlich um rund zehn Prozent.

„Der konkrete Umfang der direkten und indirekten Folgen des Kriegs in der Ukraine auf die Geschäftsentwicklung von Thyssenkrupp ist aus heutiger Sicht mit hohen Unsicherheiten verbunden“, heißt es in der Mitteilung. Insbesondere steigende Rohstoffpreise könnten sich auf Thyssenkrupp auswirken. Die bisherige Gesamtjahresprognose nimmt das Management nun mit Blick auf das wichtige Cashflow-Ziel zurück.

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Seit Jahren schon hat Thyssenkrupp von der Substanz gelebt. Meist floss mehr Geld ab, als in die Kasse kam. Als wichtiges Etappenziel bezeichnete der Vorstand daher seit Monaten, einen ausgeglichenen Cashflow zu erzielen – einen positiven Wert konnte der Konzern zuletzt im Geschäftsjahr 2015/16 erreichen. Doch mit Blick auf das Cashflow-Ziel zeigt sich der Vorstand nun pessimistisch. Die Prognose zum Cashflow setzt das Management aus.

Stahl- und Automobilgeschäft betroffen

„Unsere Aktivitäten in der Ukraine und in Russland sind im Vergleich zur Größe der Gruppe überschaubar“, erklärt Konzernchefin Merz in dem Schreiben an die Belegschaft, zu der weltweit rund 100.000 Menschen gehören. In Russland und in der Ukraine beschäftige Thyssenkrupp etwa 450 Mitarbeitende. Der Umsatz mit Kunden in der Region habe einen sehr begrenzten Umfang. „Viel gravierender sind die indirekten Auswirkungen: Lieferketten sind gestört, Werke bei unseren Kunden stehen still, Rohstoff- und Energiepreise gehen durch die Decke“, so Merz. „Das werden wir vor allem beim Stahl zu spüren bekommen, aber auch im Automobilgeschäft.“

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Gegenläufige Entwicklungen in der Thyssenkrupp-Werkstoffhandelssparte Materials Services, wo das Unternehmen von steigenden Rohstoff- und Materialpreisen profitiere, könnten diese Belastungen nicht vollständig ausgleichen. „Wo immer möglich, geben wir Preissteigerungen an unsere Kunden weiter. Nichtsdestotrotz sind wir nun umso mehr gefordert, in allen Bereichen weiter konsequent an unserer Performance zu arbeiten“, betont Merz. „Wir dürfen nicht in unserem Bemühen nachlassen, das Beste aus uns und unserem Unternehmen herauszuholen.“

DSW fordert von Thyssenkrupp-Chefin „konkrete Zahlen und Informationen“

Pläne für eine Verselbstständigung der Thyssenkrupp-Stahlsparte mit mehreren großen Standorten in Nordrhein-Westfalen legt Konzernchefin Martina Merz ebenfalls erstmal auf Eis. Der Thyssenkrupp-Vorstand sei zwar „nach wie vor davon überzeugt, dass eine eigenständige Aufstellung des Stahlgeschäfts sehr gute Zukunftsperspektiven eröffnet“, heißt es in der Mitteilung vom Mittwochabend. „Gleichwohl ist eine Aussage zur Machbarkeit aufgrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen derzeit nicht möglich.“

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), fordert Thyssenkrupp-Chefin Merz auf, möglichst rasch für Klarheit zu sorgen. „Das höchst angespannte Umfeld kommt für Thyssenkrupp zur schlechtesten aller Zeiten“, sagte Tüngler unserer Redaktion. „Gerade hatte man wieder Boden unter den Füßen gefasst, nun muss man wieder in den Krisenmodus umschalten. Aus Sicht der Aktionäre und Mitarbeiter wiegt die mit der Ad hoc-Meldung zurückgekehrte Unsicherheit am schwersten. Bei allem Verständnis für die sicherlich schwer zu greifende Situation – es ist daher umso wichtiger, dass Frau Merz schon sehr bald mit konkreten Zahlen und Informationen aufwartet.“

„Folgen des Krieges werden insbesondere den Stahl treffen“

Kurz nach der Veröffentlichung der Börsenpflichtmitteilung äußerte sich Martina Merz bereits am Mittwochabend zur Lage. „Wir haben gute Fortschritte bei unserer Transformation gemacht. Das gilt auch für den Stahl“, erklärte sie in einem schriftlichen Statement. „Die deutlichen Verbesserungen im laufenden Geschäftsjahr bis zum Ausbruch des Krieges zeigen das. Aber die Folgen des Krieges werden uns und insbesondere den Stahl treffen.“ Die Pläne für eine Verselbstständigung der Stahlsparte seien „in diesem aktuell instabilen Umfeld“ gegenwärtig nicht umsetzbar.

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„Wie der Krieg und das Umfeld sich weiterentwickeln, das können wir noch nicht absehen. Darauf haben wir keinen Einfluss“, so Merz. „Die Herausforderungen für unsere Transformation werden vor diesem Hintergrund sicher nicht kleiner. Umso wichtiger ist es in dieser Situation, weiterhin alles, was in unserer Hand liegt, für unsere Leistungsfähigkeit zu tun.“

Für das Gesamtjahr 2021/2022 hat der Thyssenkrupp-Vorstand um Konzernchefin Merz deutliche Verbesserungen für das Unternehmen angestrebt: Beim bereinigten Ergebnis will der Vorstand einen Wert zwischen 1,5 und 1,8 Milliarden Euro erzielen – nach 796 Millionen Euro im Vorjahr. Für den Jahresüberschuss rechnet Vorstandschefin Merz mit einem Wert von mindestens einer Milliarde Euro – nach einem Verlust in Höhe von 25 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum. Das Unternehmen betont, es sei die Cashflow-Prognose für das Gesamtjahr ausgesetzt, nicht die Gewinnprognose.