Dortmund. Weil die Unternehmenskultur leide, will Signal-Iduna-Chef Leitermann die Home-Office-Arbeit zurückfahren. Dem Versicherer droht ein Dilemma.
Die Wortwahl ist martialisch, aber angesichts der Ausmaße des Problems möglicherweise dennoch angemessen: Von einem „War for Talents“ ist die Rede, vom Krieg um Talente, der wie der sich zuspitzende Fachkräftemangel auch die Signal Iduna erreicht hat.
Um im Kampf um neues Personal zu bestehen, geht der Dortmunder Versicherer neue Wege. Teil der Strategie ist es auch, dem durch die Corona-Pandemie ausgelösten Home-Office-Trend entgegenzuwirken, um die Unternehmenskultur zu stärken. Das aber könnte in ein Dilemma führen.
Kontinuierlicher Aderlass droht
In den kommenden zehn Jahren verliere die Signal Iduna altersbedingt pro Jahr 250 Mitarbeiter. Das sind etwa 2,5 Prozent der Belegschaft. Um diesem kontinuierlichen Aderlass zu begegnen, setzt Vorstandschef Ulrich Leitermann auf ein Bündel an Maßnahmen: die Reaktivierung von Ruheständlern oder das Werben um einen späteren Eintritt in die Rente, Vollzeit statt Teilzeit, auch die Digitalisierung spielt eine Rolle – alles, was geht, soll künftig technisch oder maschinell erledigt werden, um nicht unnötig Personal zu binden. „Man muss“, sagt Unternehmenschef Leitermann, „auf der ganzen Klaviatur spielen.“
Schon 2020 gründete der Konzern die „Taskforce Recruiting“, seit Oktober des vergangenen Jahres ist ein spezielles Team zur Personalakquise komplett. Stellenanzeigen schalten – das war einmal. Heute geht es um die gezielte Mitarbeiteranwerbung, etwa in sozialen Medien oder Netzwerken. Die Firmen müssen sich beim Personal bewerben. „Es ist ein Arbeitnehmermarkt“, sagt Leitermann. Und das wissen auch die Kandidaten.
Sie werden gebraucht, können es sich erlauben, wählerisch zu sein. Den Zuschlag der Umworbenen, könnte man nun meinen, bekomme der Höchstbietende, aber die Bezahlung sei gar „nicht so das Entscheidende“, sagt Leitermann, denn „wir zahlen nach Tarif“. Stattdessen gehe es gerade vielen Jüngeren etwa um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes oder die Unternehmenskultur. Biete der Arbeitgeber gratis Kaffee an, gebe es eine Kantine (auch mit veganem Essen), gehe man kollegial miteinander um? Nicht zuletzt geht es auch um das Thema Home-Office, das durch die Pandemie erheblich an Bedeutung gewonnen hat.
Nur 35 Prozent der Mitarbeiter im Büro
Bei der Signal Iduna mit ihren gut 10.000 Mitarbeitern regelt eine Betriebsvereinbarung, dass an mindestens zwei Tagen pro Woche von zu Hause gearbeitet werden darf. Allerdings kämen derzeit nur 35 Prozent der Mitarbeiter in die Büros des Konzerns. Diese Quote möchte Leitermann nun steigern, weil die Unternehmenskultur unter dem Arbeiten auf Distanz am Laptop in den eigenen vier Wänden gelitten habe. „Wie sollen Azubis zu Hause vor der Kiste das Unternehmen kennenlernen“, sagt Leitermann.
Auch sei es „durchaus ein Thema“, dass mancher Mitarbeiter, der während der Pandemie eingestellt worden sei, das Unternehmen schneller wieder verlasse, weil die Bindung an den Arbeitgeber nicht so ausgeprägt sei. Zudem habe sich inzwischen gezeigt, dass kleine Ablenkungen im Home-Office dazu führten, dass Mitarbeiter immer wieder etwas Zeit für die Wiederaufnahme einer Tätigkeit benötigten.
Leitermann möchte daher, dass künftig bis zu 60 Prozent der Mitarbeiter wieder im Büro arbeiten. Dieser Versuch aber, dem Trend zum Home-Office entgegenzuwirken, könnte gerade im Krieg um die (wählerischen) Talente zu einem Dilemma führen. Was, wenn ein Bewerber darauf besteht, mehr Home-Office zu machen als vorgesehen? Was, wenn man diesen Wunsch erfüllt, um den Kandidaten nicht an eine rivalisierende Versicherung zu verlieren? Darf einer mehr Home-Office machen, möchten weitere Mitarbeiter dies möglicherweise auch tun. Leitermann sagt daher, dass die 60-Prozent-Quote keine starre Vorgabe sei. Die Steuerung müsse insbesondere über die jeweiligen Führungskräfte erfolgen. Grundsätzlich gelte aber: „Unsere Aufgabe ist es, das Büro wieder attraktiv zu machen.“
Rückbesinnung auf die Teeküche
Um dieses Ziel zu erreichen, erfolgt auch in weiterer Hinsicht eine Rückbesinnung. So richte man in den Büros etwa Treffpunkte ein, Willkommenszonen oder Coffeepoints, in denen sich Mitarbeiter austauschen können. Das fördere auch die Kreativität, sagt Leitermann. Früher hätte er sich wohl nicht vorstellen können, dass er mal eine solche Aussage treffen würde. Als er vor 26 Jahren ins Unternehmen gekommen sei, gab es noch Teeküchen, in denen man sich zum Plausch traf. „Wenn du da erwischt wurdest, hieß es: nichts zu tun?“, erzählt Leitermann, Jahrgang 1959 und seit Juli 2013 Vorstandsvorsitzender der Signal Iduna.
Die Anwerbung von Personal aus dem Ausland, die von vielen Wirtschaftsvertretern zur Lösung des Fachkräftemangels gefordert wird, ist derweil für die Signal Iduna weniger ein Thema, da gute Deutschkenntnisse Voraussetzung sind, um Versicherungen zu verkaufen und Servicedienstleistungen zu erbringen. Anders sieht das in der IT-Abteilung des Unternehmens aus. Dort sei Englisch ohnehin „vorherrschend“, sagt Leitermann.
+++ Signal Iduna wächst gegen den Markt-Trend+++
Die Signal Iduna Gruppe mit Hauptverwaltungen in Dortmund und Hamburg hat 2022 Beitragseinnahmen von 6,5 Milliarden Euro erzielt. Das ist ein Plus von 2,3 Prozent, wie der Vorstandsvorsitzende Ulrich Leitermann bei einem Pressegespräch erläuterte.
„Wir haben uns erneut besser besser entwickelt als der Markt“, so Leitermann weiter. Der Versicherungsmarkt sei im vergangenen Jahr, das von Inflation und Energiekrise geprägt war, um 0,7 Prozent geschrumpft.