Essen. Bund, Land und RWE einigen sich auf Abschaltung der letzten Braunkohleblöcke 2030. Das Dorf Lützerath soll aber weg, neue Proteste programmiert.

Der Braunkohleausstieg in Nordrhein-Westfalen wird von 2038 auf 2030 vorgezogen. Darauf haben sich Bund und Land mit dem Essener RWE-Konzern verständigt. Dies sei der „finale Zeitplan für den Braunkohleausstieg“, sagte RWE-Chef Markus Krebber am Dienstagmorgen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Ministerin Mona Neubaur (beide Grüne) in Berlin.

Zugleich machten Habeck und Neubaur deutlich, dass das von Klimaschützern umkämpfte Dorf Lützerath im Rheinischen Revier der noch benötigten Braunkohle weichen müsse. Alle anderen bisher noch zur Disposition stehenden Orte und Höfe blieben dagegen erhalten, betonte Neubaur, die Bewohnerinnen und Bewohner von Kuckum, Keyenberg, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath hätten damit nun endlich Sicherheit, nicht umsiedeln zu müssen.

Grünen in NRW droht Ärger mit Klimaschützern und Parteijugend

Allerdings dürfte ihr der Beschluss zum Abriss von Lützerath erheblichen Ärger mit der eigenen Parteijugend und Klimaschutzaktivisten bescheren. „Lützerath muss bleiben“, hatte Nicola Dichant, die Chefin der Grünen Jugend, unlängst unserer Redaktion gesagt. Und indirekt mit Protesten gedroht, sollte die eigene Ministerin den Abriss nicht verhindern: „Niemand wünscht sich eine Eskalation zwischen Polizei und Klimabewegung wie 2018 am Hambacher Wald. Aber klar ist: Die Grüne Jugend steht solidarisch an der Seite der Klimaschützerinnen und Klimaschützer.“

Neubaur ist bewusst, dass auf sie harte Wochen zukommen: „Es gibt keine schwierigere, aber auch keine wichtigere Zeit, als Grüne in Verantwortung zu stehen“, sagte sie. Ihr Ministerium habe vor dieser Entscheidung „noch einmal gutachterlich überprüfen lassen“, ob Lützerath nicht doch erhalten bleiben könne. Mit dem Ergebnis: „Eine Insellage von Lützerath ist nicht zu rechtfertigen.“, so Neubaur.

Zwei 600-MW-Blöcke bleiben bis 2024 am Netz

Zur Einigung gehört auch, aktuell deutlich mehr Braunkohlestrom zu erzeugen. RWE ist seit Anfang dieser Woche dabei, drei 300 Megawatt-Blöcke aus der Reserve einsatzbereit zu machen, das werde „bis zum Wochenende“ erfolgen, sagte Konzernchef Krebber. Zusätzlich sollen nun zwei 600 MW-Blöcke – Neurath D und E – bis Ende März 2024 am Netz bleiben, die nach dem bisherigen Ausstiegspfad eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden sollten.

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„Aktuell steht die Bewältigung der Energiekrise mit den sehr hohen Preisen im Fokus. Deshalb brauchen wir kurzfristig mehr Kohlestrom“, sagte Habeck. Es gehe darum, die nächsten beiden Winter zu überstehen. Doch die größte „strukturelle Krise unserer Zeit ist die globale Erderwärmung“, betonte der Wirtschafts- und Klimaminister. Deshalb müsse nach 2024 der Kohleausstieg umso stärker beschleunigt werden.

RWE-Lösung soll „beispielgebend“ auch für Ostdeutschland sein

Das Ziel, den Ausstieg um acht Jahre vorzuziehen, werde für die Braunkohle im Rheinischen Revier mit dieser Vereinbarung erreicht. Mit Blick auf die ostdeutschen Braunkohlereviere sagte Habeck, die Lösung mit RWE könne „beispielgebend sein auch für andere Marktteilnehmer“ sein. Anders als RWE, das seine Zukunft in grüner Energie sieht und Kohle bereits nicht mehr zu seinem Kerngeschäft zählt, will die Leag in der Lausitz aber so lange wie möglich Braunkohle fördern und verstromen – mit Unterstützung der dortigen Landesregierungen.

Dass RWE seinen Braunkohleausstieg nun „doppelt so schnell“ vollziehe wie im Kohlekompromiss von 2018 vereinbart, sei vor allem für die Beschäftigten von RWE ein Beschluss „von großer Tragweite“, wie Konzernchef Krebber betonte. Durch die kurzfristige Verlängerung der Laufzeiten brauche man aktuell „deutlich mehr Mitarbeiter“ als bisher eingeplant, weshalb viele ihren Ruhestand verschieben müssten. Dafür gehe nach 2024 der Stellenabbau umso schneller voran. Krebber versicherte, RWE finde „für alle sozialverträgliche Lösungen“. Alle Vorteile aus dem bereits vereinbarten Tarifvertrag zur Begleitung des Ausstiegs bis 2038 blieben den Beschäftigten auch beim früheren Ausstieg erhalten.

IGBCE pocht auf Tarifvertrag für Beschäftigte

Darauf, betonte IGBCE-Chef Michael Vassiliadis, werde die Gewerkschaft achten. „Wir werden dafür sorgen, dass Bund und Konzern von den Zusicherungen kein Jota abweichen“, sagte er. Von den aktuell 7500 Arbeitsplätzen in der Braunkohle sollen demnach bis 2030 nun bis zu 5500 statt 3500 abgebaut werden. Für ältere Beschäftigte ist ein staatlich finanziertes Anpassungsgeld zum Übergang in den Ruhestand vorgesehen, für Jüngere Qualifizierungs- und Vermittlungsmaßnahmen.

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Mona Neubaur betonte, mit dem beschleunigten Ausstieg würden in NRW unterm Strich „280 Millionen Tonnen CO2 weniger“ ausgestoßen. RWE-Chef Krebber sagte, damit liege der Essener Dax-Konzern nun „auf dem 1,5 Grad-Reduktionspfad“, den der Pariser Klimagipfel 2015 gesetzt hatte. RWE werde zudem Wind- und Solarstromanlagen vor allem in NRW mit einer Leistung von zusätzlich einem Gigawatt bis 2030 bauen.

RWE will viele neue Gaskraftwerke bauen

Der Kohleausstieg, das betonten Konzern und Minister Habeck, sei aber nur möglich, wenn bis 2030 viele neue Gaskraftwerke gebaut werden – so wenig das auch in diese Zeit zu passen scheint, da Gas knapp und teuer ist wie nie zuvor und Gaskraftwerke möglichst nicht laufen sollen. „Neue Gaskraftwerke bauen zu wollen, mag aktuell merkwürdig klingen, aber wir brauchen gesicherte, steuerbare Leistung für wind- und sonnenarme Zeiten“, sagte Krebber. Nach dem Kohleausstieg seien schnell hoch- und herunterzufahrende Gaskraftwerke die beste und klimafreundlichste Lösung, zumal sie mittelfristig mit grünem Wasserstoff statt Erdgas betrieben werden sollen.

Krebber betonte, die Bundesregierung müsse dafür nun schnell die Voraussetzungen schaffen – sowohl was den rechtlichen Rahmen für den Bau neuer Gas-/Wasserstoffkraftwerke betrifft als auch Klarheit über die Schaffung des dafür benötigten Wasserstoffnetzes. Von der Planung bis zur Inbetriebnahme dauere es bis zu sechs Jahre. „nach unserer Einschätzung müssen die Rahmenbedingungen im kommenden Jahr stehen, um den Kohleausstieg bis 2030 schaffen zu können“, sagte Krebber Richtung Habeck. Dann werde sich RWE an Ausschreibungen für den Bau neuer Gaskraftwerke mit einer Leistung von drei Gigawatt beteiligen. Die neuen Kraftwerke will er an den alten Kohlekraftwerks-Standorten bauen, „als Beitrag zum Strukturwandel und um Arbeitsplätze vor Ort zu erhalten“, sagte Krebber. Es müsse aber gesichert sein, dass dorthin dann auch Wasserstoff gelange.

RWE-Chef: Wir werden dann keinen Gasmangel mehr haben

Der RWE-Chef geht davon aus, dass ab 2030 in den neuen Kraftwerken ein 50:50-Mix aus Wasserstoff und Erdgas eingesetzt wird, das sei aktueller Stand bei den Turbinenbauern. Bis 2035 sei man dann in der Lage, die Kraftwerke ganz mit Wasserstoff betreiben zu können. Krebber rechnet fest damit, dass es zum Ende dieses Jahrzehnts keinen Gasmangel wie in der aktuellen Krise mehr geben werde. „Zudem werden sie vor allem als Sicherheit gebraucht und nur wenig laufen, der Gasverbrauch wird also nicht hoch sein“, so Krebber.