Die Bevölkerung wächst, doch genaue Daten gibt es nicht. Jetzt muss sie wahre Größe zeigen - landesweit werden Hüft-, Brust- und Po-Umfänge neu vermessen. Die Modebranche wartet händeringend auf Ergebnisse

Essen. Neben dem Kaffeekränzchen mit Schwiegermutter steht der Klamottenkauf für viele Männer auf der Liste lästiger Pflichten ganz oben. Da unvermeidbar, möge er bitte schnell gehen. Der nächste Anzug von der Stange - und gut. In der Kabine schwant dem Manne Übles: Die Auswahl könnte heute länger dauern, da die Hose oben schlabbert und unten viel zu kurz ist.

Über solche Frusterlebnisse kann fast Jeder berichten. Denn die Deutschen werden pro Jahrzehnt um bis zu einen Zentimeter größer, während die Textilindustrie Männermode nach Körpermaßtabellen aus den 1960er Jahren entwirft. So kann es passieren, dass am Modemarkt munter vorbei produziert wird.

Um aktuelle Daten zu erhalten, müssen die Deutschen bei der Reihenmessung "SizeGermany" ihre wahre Größe zeigen. Bis Ende 2008 wollen die Vermessungszentren Hohensteiner Institute und Human Solutions bundesweit an 30 Standorten 12 000 Frauen, Männer und Kinder vermessen. Dazu tastet ein Bodyscanner mit einem Laserstrahl den Körper ab. "Bislang haben wir rund 4500 Personen vermessen", sagt die Sprecherin der Hohensteiner Institute, Rose-Marie Riedl.

Frühere Messungen haben ergeben, dass die Menschen größer werden. So legte der Brustumfang bei Frauen zwischen 1981 und 1994 um 1,7 Zentimeter zu, der Hüft- und Taillenumfang um 2,2 und die Körpergröße um einen halben Zentimeter. Von den 91-61-86, auf die es Marilyn Monroe brachte, sind Frauen heute weit entfernt: 99,7-83,7-104,1 lauten die Durchschnittsmaße, die eine Studie für die Miederwarenindustrie 1999 ermittelt hat. Bei den Herrengrößen muss die Textilindustrie auf Daten zurückgreifen, die aus der Zeit von Kanzler Erhard stammen. Daher warten die 80 Partner der Studie - von Adidas über H&M bis Tchibo - händeringend auf die Ergebnisse der 1,2 Millionen Euro teuren Vermessung.

Vor allem der Versandhandel hofft auf einheitliche Größen. "Damit wollen wir die Auswahlbestellungen überflüssig machen, bei denen Kunden mehrere Größen bestellen", sagt Hans-Günter Just von der Otto-Gruppe. Die Mehrkosten bezeichnet er als "beträchtlich". Dies legt die Reihenmessung für Frauen von 1994 nahe: Da kam heraus, dass nur noch 21 Prozent der Frauen in Standardgrößen passen.

Ohnehin ist der Kleiderkauf auch fürs weibliche Geschlecht frustrierend. Während das eine Kleid in 38 Madams Figur umschmeichelt, suggeriert das andere, ebenfalls in 38, dass die letzte Diät für die Katz' war. Schuld daran sind Schmeichelgrößen. Einst hätten die Textil-Anbieter begonnen, die Kleider größer zu machen, damit die Frauen länger in Größe 38 passen, sagt Riedl von den Hohensteiner Instituten: "Eine psychologische Sache." Otto-Mann Just nennt Zahlen: "Die Kennmaße Oberweite, Bundweite, Hosenlängen differieren bei gleicher Größenbezeichnung bis zu mehreren Größensprüngen von jeweils vier Zentimetern."

Über den Verlust, der durch schlecht passende Kleidung entsteht, will der Sportartikelhersteller Adidas nichts sagen. Eine Sprecherin formuliert es so: Mit den neuen Daten wolle Adidas "Märkte optimieren" und nach neuen Maßen schneidern. "Das kann bis 2009 oder 2010 dauern." Die Mehrkosten seien zu vernachlässigen, da die Schnitte saisonal überarbeitet würden.

Die Reihenmessung ist nicht nur für den heimischen Modemarkt gedacht. Sie soll dazu beitragen, ein einheitliches Größensystem in Europa zu schaffen. So gab es Messreihen in Frankreich, Schweden und Großbritannien. Denn um das Nummerngewirr jenseits von Wachstum und Schmeichelgrößen perfekt zu machen: Die Größen sind landesweit unterschiedlich. Frau weiß davon ein Lied zu singen: Passt sie zuhause in Kleidergröße 38, muss sie in Italien 44 nehmen. Männer kämpfen mit ähnlichen Problemen, wenn oft auch mit weniger Hingabe.