Essen. . Mehr und mehr Revierkommunen versuchen, durch die Gewerbesteuerschraube ihre maroden Finanzen in den Griff zu bekommen. Experten warnen vor einem Teufelskreis, weil die hohen Steuersätze die Haushaltsprobleme nicht lösen könnten und im Ruhrgebiet dringend benötigte neue Investoren abschreckten.

„Haribo macht Rheinland-Pfalz froh“ titelte jüngst die Süddeutsche Zeitung: Kurz vor den Sommerferien platzte der Süßwarenproduzent mit der Nachricht heraus, seinen traditionsreichen Stammsitz in Bonn aufgeben und die Firmenzentrale des weltweiten Gummibären-Imperiums ins nur 30 Kilometer entfernte südliche Nachbarbundesland verlegen zu wollen. Ein Faustschlag für die wachstumsverwöhnte alte Bundeshauptstadt. Sie verliert einen wichtigen Gewerbesteuerzahler.

Aus Sicht des Unternehmens dürfte der bis 2017 geplante Umzug von Bonn in den Kreis Ahrweiler dagegen eine kluge Steuervermeidungsstrategie sein. Denn die künftige Haribo-Heimat Grafschaft lockt Investoren mit einem verführerisch geringen Hebesatz für die allein von den Gemeinden festgesetzte Steuer von lediglich 330 Punkten an. Bonn dagegen fordert 460 Punkte. Heißt: Haribo muss demnächst rund 30 Prozent weniger Gewerbesteuer abführen.

Marode Haushalte

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Das Beispiel Haribo zeigt, wie schnell Konzerne ihre Zentralen verlegen können, selbst wenn die Bindung an einen Standort historisch gewachsen ist. Dem Ruhrgebiet könnte der Fall Haribo also als Warnung dienen. Denn die klammen Kommunen des Reviers erliegen mehr und mehr der Versuchung, durch den Griff an die Gewerbesteuer ihre maroden Haushalte zu konsolidieren. Kaum eine andere Region verlangt so viel Gewerbesteuer von seinen Betrieben wie das Ruhrgebiet.

Und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Bochum will ab kommendem Jahr 495 statt 480 Prozent nehmen. In Essen liegt der Satz bei 480, in Duisburg sind es schon 490. Oberhausen schoß den Vogel ab und erhöhte wegen der maroden Stadtfinanzen auf 520 Punkte – einsame Spitze in Nordrhein-Westfalen. In der Stadt mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in Deutschland denkt man sogar über noch höhere Sätze nach.

Signal für Investoren

Kritiker glauben, dass sich die Städte damit zunehmend unattraktiver für neue Investoren machen – und auf Dauer sogar weniger als mehr Steuern einnehmen. Eine Abwärtsspirale. Das Revier als Steueroase – das wäre allerdings ein „erhebliches Signal“ an neue Investoren und Unternehmen von außerhalb, sich im Ruhrgebiet niederzulassen, meint der Chef der Wirtschaftsförderung Ruhr, Rasmus Beck. Das Thema gehöre wieder auf die Tagesordnung.

Eine Senkung und gar Vereinheitlichung der Gewerbesteuersätze ist derzeit allerdings nicht in Sicht. Oft ist es gerade die Finanznot der Revierstädte, die als Grund für die Erhöhung herhalten muss. Dabei sind selbst Städte, denen die Kommunalaufsicht die Etathoheit etwa im Rahmen des Stärkungspaktes Stadtfinanzen teilweise entzogen hat, keineswegs gezwungen, ihre Defizite durch den Dreh an der Steuerschraube in den Griff zu bekommen. „Wie die Städte und Gemeinden ihren Haushalt sanieren, obliegt ihnen selbst. Uns interessiert nur das Endergebnis“, so Christian Chmel-Menges von der Bezirksregierung Arnsberg.

Konzern drohte mit Abwanderung

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Für die Industrie- und Handelskammer Bochum ist die Erhöhung der Gewerbesteuer ohnehin eine Todsünde. „Es ist ein glatter Irrglaube, das Haushaltsproblem einer Kommune durch eine Erhöhung der Gewerbesteuer lösen zu können“, so IHK-Sprecher Jörg Linden. Tatsache ist: Eine sichere Bank für Mehreinnahmen ist die Steuererhöhung nicht. Zu abhängig sind die Gewerbesteuern von der Entwicklung der örtlichen Wirtschaft. Beispiel Essen: Der Stadt fehlten 2013 auch deshalb 60 Millionen Euro geplanter Einnahmen, weil die Energiewende Konzerne wie RWE in die Knie zwang.

Besonders heftig stritten übrigens die Dortmunder um die Erhöhung. Auf 490 Punkte sollte der Hebesatz im vergangenen Jahr heraufgesetzt werden – von 475 Punkten. Die Dortmunder Wirtschaft lief Sturm dagegen. Dortmunds größter Konzern, der Versicherer und BVB-Sponsor Signal Iduna, drohte offen mit Abwanderung. Die Stadt erhöhte nur auf 485 Punkte. Signal Iduna zahlt jetzt jährlich 400 000 Euro mehr.