Essen. . Durch den Mindestlohn werde vielen jüngeren Leute oder Langzeitarbeitslosen der Einstieg in die Arbeitswelt verbaut, sagt Metall-Arbeitgeberpräsident Dulger: „Viele Unternehmen werden künftig keine Praktika für Hochschulabsolventen mehr anbieten.“ Auch Förderprogramme für Azubis seien in Gefahr.
Metall-Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnt: Viele Unternehmen werden künftig keine Praktika mehr anbieten, wenn sie den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde zahlen müssen. Die Einführung des Mindestlohns gefährde auch Förderprogramme, mit denen die Branche seit Jahren junge Leute an den Beruf heranführt.
Herr Dulger, es läuft rund in der Metall- und Elektroindustrie. Viele Unternehmen machen gute Geschäfte. Eigentlich müssten Sie bestens gelaunt sein.
Dulger: Alfred Herrhausen hat einmal gesagt: Fehler macht man immer dann, wenn’s gut geht. Wir haben Beschäftigungsrekorde, steigende Einkommen, eine florierende Binnenkonjunktur, und darüber können wir uns zu Recht freuen. Aber wir sehen es bei der spanischen Fußball-Nationalmannschaft: Es ist gefährlich, sich auf Erfolgen auszuruhen. Dann macht man den einen oder anderen notwendigen Schritt nicht mehr.
Was meinen Sie damit?
Dulger: Bei uns am Standort Deutschland wachsen die Risiken. Die Arbeitskosten sind stetig nach oben gegangen und liegen jetzt bei rund 39 Euro pro Stunde. Damit sind wir einer der teuersten Industriestandorte der Welt. Unsere Mitarbeiter in der Metall- und Elektroindustrie hatten spürbare Lohnerhöhungen. Die Tarifentgelte sind seit dem Jahr 2008 um 15 Prozent gestiegen. Auch das kostet Wettbewerbsfähigkeit. Und dank des Rentenpaketes werden die Sozialbeiträge und Steuern zwangsläufig steigen.
Am gefährlichsten ist aber: Wir haben eine schleichende De-Industrialisierung. In vielen Unternehmen liegen die Investitionen innerhalb Deutschlands unter den Abschreibungen. Viele Firmen bauen ihre neuen Werke nicht hier, sondern anderswo auf der Welt. Das bereitet mir Sorgen.
Aber die Zahl der Beschäftigten ist doch gestiegen.
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Dulger: Das stimmt. Im April ist die Zahl der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie im Vergleich zum Vorjahr um 40.000 auf insgesamt 3,72 Millionen Mitarbeiter gestiegen. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Wir haben alleine im April 8000 neue Stammarbeitsplätze aufgebaut. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 haben die Unternehmen der Branche 300.000 Arbeitsplätze geschaffen. Die Konjunktur läuft rund, aber die Stimmung trübt sich ein.
Warum?
Dulger: Einige Gründe habe ich eben genannt. Hinzu kommen die Krisen in der Ukraine und im Irak, die unsere exportorientierten Unternehmen verunsichern. Auch die unkalkulierbaren Energiekosten sind schädlich, insbesondere für den industriellen Mittelstand. Ich kann nicht erkennen, dass die Kostenexplosion aufzuhalten ist. Dass künftig auch Unternehmen, die ihren Strom selbst erzeugen, draufzahlen sollen, ist völlig inakzeptabel. Das ist doch so, als ob Sie zu Hause mit ihrer Oma Plätzchen backen und vom Staat plötzlich Mehrwertsteuer dafür verlangt wird. Eine absurde Vorstellung.
Wie wirkt sich der Mindestlohn aus?
Dulger: Ich werde nicht den Untergang des Abendlandes verkünden, weil der Mindestlohn kommt. Ich sehe aber Probleme. Für viele jüngere Leute oder für Langzeitarbeitslose kann der Einstieg in die Arbeitswelt verbaut werden. Viele Unternehmen werden künftig keine Praktika für Hochschulabsolventen mehr anbieten, wenn bei einem kurzen Aufenthalt im Betrieb der Mindestlohn gezahlt werden soll. Die Zahl der angebotenen freiwilligen Praktika wird sinken. So werden Chancen verbaut.
Ist das alles?
Dulger: Die Einführung des Mindestlohns gefährdet auch Förderprogramme, mit denen wir seit Jahren junge Leute an den Beruf heranführen. Ich denke an 19- oder 20-Jährige, die schon mehrmals ihre Lehre abgebrochen haben und eine neue Chance bekommen sollen. Auch diese Leute sollen künftig den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde erhalten. Unter diesen Umständen müssten die Unternehmen ihre Programme einstellen. Die Chancen für Spätstarter würden wegfallen.
Hoffen Sie auf Korrekturen?
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Dulger: Ja, hier brauchen wir bessere Lösungen im Gesetz. Ganz wichtig ist, dass wir auch beim Thema Arbeitszeitkonten einen Weg finden, der dem Alltag in den Betrieben Rechnung trägt. Bislang ist vorgesehen, dass die Arbeitszeitkonten alle zwölf Monate glattgezogen werden sollen. Damit würden die Betriebe ein Instrument verlieren, das viele Arbeitsplätze in der Finanzkrise gerettet hat. Arbeitszeitkonten geben den Unternehmen auch in guten Zeiten die Flexibilität, um beispielsweise Großaufträge meistern zu können.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund will den Übergang in die Rente verbessern und fordert einen flexibleren Ausstieg aus dem Beruf schon ab 60 Jahren. Eine gute Idee?
Dulger: Ich kann mich nur darüber wundern, dass wir Debatten führen, wie wir Menschen früher aus ihren Büros und Werkhallen herausholen und nach Hause schicken. Dabei sollten wir darüber reden, wie wir neue Arbeitsplätze schaffen können. Derzeit zahlen – statistisch betrachtet – 2,7 Erwerbstätige für einen Rentner. In 15 Jahren werden es nur noch zwei Erwerbstätige sein. Es braucht nicht viel Mathematik, um zu erkennen, dass die Rechnung so nicht aufgeht.
Waren es nicht viele Unternehmen selbst, die ältere Beschäftigte aus den Betrieben gedrängt haben?
Dulger: In den 90ern wollten alle, gerade Politik und Gewerkschaften, möglichst flächendeckende Vorruhestandsregelungen. Dass viele Mitarbeiter das Angebot dankend angenommen haben, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Inzwischen gibt es einen deutlichen Trend dazu, dass ältere Mitarbeiter länger in den Unternehmen bleiben.
Die Statistik spricht eine klare Sprache. Bei uns ist die Zahl der Beschäftigten über 60 von rund 85.000 im Jahr 2000 auf etwa 214.000 im vergangenen Jahr gestiegen – ein Zuwachs von 152 Prozent. Damit hat sich der Anteil der älteren Mitarbeiter in unserer Branche in den vergangenen zwölf Jahren weit mehr als verdoppelt. Und das ist gut so, denn wir brauchen die Erfahrung und das Wissen jedes Einzelnen.