Berlin. Die Wirtschaft klagt über fehlende Lehrstellenbewerber. Doch der Nationale Bildungsbericht sieht die Probleme bei den Unternehmen: Dort, wo heute Fachkräfte fehlen, gebe es seit Jahren zu wenig Ausbildungsplätze. Die demografische Entwicklung mache eine Umstrukturierung der Ausbildungspolitik nötig.

Der von der Wirtschaft beklagte Fachkräftemangel ist laut dem neuen Nationalen Bildungsbericht weitgehend hausgemacht. In vielen Berufen, in denen über das Fehlen qualifizierter Mitarbeiter geklagt wird, gibt es seit Jahren zu wenig Lehrstellen, wie die Wissenschaftler an Hand von amtlichen Daten auflisten.

Der Bericht "Bildung in Deutschland 2014" einer Autorengruppe mit namhaften Wissenschaftlern soll am kommenden Freitag gemeinsam vom Bundesbildungsministerium und der Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlicht werden. Der Bericht liegt der Nachrichtenagentur dpa vor.

In den industriellen Kernberufen (Metall, Technik und Elektro) wie auch in den Gesundheits- und Pflegeberufen bestehe seit Jahren beim Lehrstellenangebot der Unternehmen eine "beträchtliche Unterdeckung", heißt es in dem Bericht. Im Schnitt gebe es hier zwischen 10 und 14 Prozent mehr jugendliche Bewerber als angebotene Plätze. Das von der Wirtschaft in der öffentlichen Debatte dagegen immer wieder herausgestellte große Überangebot bei den Lehrstellen beschränke sich im wesentlichen auf drei Bereiche: Ernährungshandwerk, Köche und Hotel- und Gaststättengewerbe.

84.000 Interessenten fanden 2013 keinen Ausbildungsplatz

Die Wissenschaftler halten den Unternehmen eine "wenig zukunftsorientierte Ausbildungspolitik" angesichts der demografischen Entwicklung vor. Die Probleme des Fachkräftenachwuchses lägen eher auf der Angebots- als auf der Nachfrageseite - auch wenn bei der Betrachtung regionale Probleme zu berücksichtigen seien. "Die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt (hat sich) 2013 gegenüber den beiden Vorjahren verschärft", heißt es weiter. Mit rund einer halben Million Neuzugängen sei das System der betrieblichen Berufsausbildung "auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren gefallen".

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Zugleich fanden laut der amtlichen Berufsberatungsstatistik im vergangenen Jahr 84.000 Lehrstellen-Interessenten, die zuvor von den Arbeitsagenturen als "ausbildungsfähig" eingestuft worden waren, keinen Ausbildungsplatz. Weitere 250.000 Schulabgänger mussten zunächst in Maßnahmen des sogenannten Übergangssystems vermittelt werden, meist in Kurse, Praktika oder Nachschulungen. 33.500 Lehrstellen blieben in den Betrieben unbesetzt. Damit hätten bundesweit - so die Autoren - unter dem Strich mindestens 50.000 Ausbildungsplätze gefehlt. Nur noch 21,3 Prozent der Betriebe bilden aus. Inzwischen gibt es laut Bericht in 40 Prozent der Arbeitsamtsbezirke weniger Lehrstellenangebote als Nachfrager.

Experten sehen Engpässe bei mittlerer Qualifikationsebene

Von den 30- bis unter 35-jährigen Frauen und Männern in Deutschland haben laut Bildungsbericht 17 Prozent keinen Berufsabschluss - während dies in der Altersgruppe der 60- bis unter 65-Jährigen 11 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen sind. Dagegen ist der Anteil der Personen mit Hochschulreife bei den 30- bis unter 35-Jährigen mit 43 Prozent rund doppelt so hoch wie bei den 60- bis unter 65-Jährigen (22 Prozent).

Mit Blick auf den Fachkräftebedarf bis 2030 sehen die Autoren Engpässe bei der mittleren Qualifikationsebene voraus. Dazu zählen Ausbildungsberufe unterhalb des Universitätsniveaus, Personen mit qualifizierter Facharbeiterausbildung oder Fachschul- und Fachhochschul-Absolventen. Im Bereich der Niedrigqualifizierten würden dagegen die Arbeitsangebote weiter sinken.

493.000 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf

Einen Schwerpunkt setzt der Bildungsbericht, der von Bund und Ländern alle zwei Jahre vorgelegt wird, diesmal bei den Bildungschancen für Behinderte und bei der angestrebten Inklusion - dem von einer UN-Konvention verlangten gemeinsamen Unterricht von Behinderten und Nicht-Behinderten.

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Derzeit gibt es in Deutschland 493.000 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf - das sind 6,5 Prozent aller Schüler. 40 Prozent der zu Fördernden gelten als lernbehindert. Bemängelt wird von den Autoren das Fehlen eines Diagnoseverfahrens nach bundeseinheitlichen Kriterien. Zudem müsse es bei den Hilfen mehr Abstimmung zwischen den verschiedenen Institutionen (Schule, Jugendhilfe, Sozialämter) geben.

In dem Vorwort unterstreicht die Autorengruppe, dass sie den Bericht "unter Wahrung ihrer wissenschaftlichen Unabhängigkeit" erstellt habe. In der Vergangenheit hatte es verschiedene Versuche von politischer Einflussnahme gegeben. Beim letzten Bericht vor zwei Jahren hatten kritische Äußerungen der Wissenschaftler zur Einführung des damals geplantes Betreuungsgeldes zu Kontroversen geführt. (dpa)