Washington. . Vom Drogen-Dealer im Ghetto zum ersten HipHop-Milliardär: Der geplante Verkauf seiner Kopfhörer-Firma „Beats Electronics“ an Apple macht Dr. Dre so reich, wie es sich viele Musiker in der Gangsta-Rap-Szene nicht mal im Traum vorstellen können.
Etablierte Kopfhörer-Hersteller rümpften 2008 die Nase, als die ersten weißen Plastikriesenohrenwärmer mit dem Signet „Beats by Dr. Dre.“ rauskamen. Dass Leute für einen wummernden Mordsbass 300 bis 450 Dollar auf den Tisch legen (oder Euro), der ihnen vor und nach der Arbeit das Kleinhirn zurechtschüttelt, sei doch gewiss nur was für eine Nischen-Klientel, hieß es.
Falsch gedacht.
Dass in den USA der Umsatz mit Kopf- und Ohrhörern inzwischen 2,5 Milliarden Dollar im Jahr ausmacht, liegt zum überwiegenden Teil an den Produkten des in Compton/Los Angeles unter dem bürgerlichen Namen Andre Romelle Young in den 80er Jahren als Drogendealer gestarteten Dr. Dre.
Die wulstigen Endbeschaller mit dem kleinen "b" auf den Muscheln, die Dre mit seinem Partner Jimmy Iovine, Chef der Plattenfirma Interscope Geffen A&M, in den Markt gedrückt hat, gelten als das coolste Trendprodukt in einem der wachstumsstärksten Segmente der Elektronikindustrie. Der Investmentfirma Carlyle Group war das zwischenzeitlich sogar eine Minderheitsbeteiligung von 500 Millionen Dollar wert.
Basketballer sorgten für den Durchbruch
Dr. Dre., Vater des Gangsta-HipHop, bediente sich dabei einer Marketing-Strategie, die schwer nachzuahmen ist. Vor den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking lieferte er dem befreundeten US-Basketballstar LeBron James einen Prototyp. Wenig später lief die komplette Nationalmannschaft mit den Dingern rum. Der Hype sorgte für den Durchbruch.
Zahlreiche Topsportler, man achte mal bei der Fußball-WM in Brasilien auf den Moment, wenn der Mannschaftsbus am Stadion hält und die Kicker in die Kabine strömen, schwören auf Dre‘s Geräte. „Klarer Sound, kaum Störgeräusche. Und sie vermitteln einem das Gefühl vollständiger Abschottung“, lautet ein verbreitetes Urteil.
Technisch durchschnittlich - als Lifestyle-Produkt unschlagbar
Dass Tests in Fachmagazinen den „b“-Geräten regelmäßig eher durchschnittliche bis schlechte Werte bescheinigen, tut dem Unternehmen keinen Abbruch. Die Umsätze bewegten sich zuletzt beständig im dreistelligen Millionenbereich. Dre, sagt ein Analyst des Magazins TechCrunch, verkauft seine Kopfhörer „nicht wirklich als technische Geräte - sondern als Lifestyle-Produkt“. Und das mit gewaltigen Profit-Margen. Was in Amerika im Laden bis zu 450 Dollar kostet, ist nach Einschätzung von Branchenkennern in der Herstellung für 20 Dollar zu haben.
Dass ausgerechnet Apple seine bisher größte Akquise bei einem HipHop-Oligarchen tätigt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Dr. Dre empfindet bis heute tiefe Bewunderung für den Pioniergeist von Apple-Gründer Steve Jobs. Aber dass der Konzern seine Musikmaschine iPod 2001 mit einem weißen Billig-Stöpsel als Ohrhörer auf den Markt warf, konnte der Produzent von Snoop Dogg, Tupac Shakur und Eminem nie verstehen. „Ich werde etwas Schwarzes bauen, das die Musik so klingen lässt wie sie im Original ist“, zitiert der „Rolling Stone“ den Künstler.
Der erste Milliardär unter den Gangsta-Rappern
Als geschickter Zweitverwerter seines eigenen Musikruhms, der 1986 in der zusammen mit Eazy-E und Ice Cube gestarteten Hip-Hop-Band NWA (Niggaz With Attitude) begründet liegt, machte sich Dr. Dre an die Klangerlebnisverbesserung. Statt der Kundschaft schwarze Gangster-Coolness und Ghetto-Nihilismus („Straight Outta Compton") zu verkaufen, legt er ihnen nun modische Accessoires nahe; mögen sie auch so aussehen wie Saugglocken. Kleine Lautsprecher, Mischpulte, Audio-Anlagen fürs Auto und ein Musikstreamingdienst a la Spotify rundeten das „Beats“-Sortiment zuletzt ab.
Wenn das auf 3,2 Milliarden Dollar taxierte Riesengeschäft mit Apple wie erwartet in der nächsten Woche über die Bühne geht, ist ein historischer Moment programmiert. Bisher führt Sean "P. Diddy" Combs laut „Forbes“ die Reichenliste im HipHop mit rund 700 Millionen Dollar an. Apple wird Dr. Dre. wohl zum ersten Milliardär machen. Mit viel Freizeit. Was Fans seiner Reimkunst aufhorchen lässt. Könnte sich der 49-Jährige doch dann an die seit Jahren endlos verschobene neue Platte machen, für die bisher keine Zeit war.
Direkt aus Compton, einem der prekärsten Stadtteile von L.A., kommt Dr. Dre natürlich schon lange nicht mehr. Er kauft laut „Los Angeles Times“ gerade für 50 Millionen Dollar das Anwesen von Football-Star Tom Brady und dessen Supermodel-Gattin Gisele Bündchen im feinen Brentwood. Aber bestimmt kann man auch darüber tüchtig rappen.