Essen. Viele Kunden lassen sich erst im Fachgeschäft beraten, um dann günstiger im Internet-Shop zu kaufen. Gerade Einzelhändler leiden unter dem Beratungsklau. Läden müssen schließen, Innenstädte veröden. Doch es gibt auch Händler, die den Online-Boom geschickt für sich nutzen.

„Ich will mich erst einmal kurz informieren.“ Wenn er diesen Satz aus dem Munde eines Kunden hört, ist Wolfgang Lennertz alarmiert. Aus der „kurzen“ Information werden oft bis zu einstündige Beratungs-Gespräche. Der Kunde lässt sich ausführlich die verschiedenen Funktionen der Kameras erklären – und spaziert anschließend mit leeren Händen aus seinem Laden wieder heraus. „Der kauft dann im günstigeren Onlineshop“, ist Lennertz überzeugt. Er schäumt: „Das ist Beratungsdiebstahl.“

Im Oktober hätte der Einzelhändler aus Krefeld 25-jähriges Betriebsjubiläum gefeiert. Doch dann wird es „Wolfgang’s Digital und Fotoservice“ auf der Evertsstraße nicht mehr geben. Lennertz macht sein Geschäft in wenigen Wochen zu. „Wir sind es satt!“ steht in großen roten Lettern auf einem Zettel im Schaufenster. „Es ist schon traurig, dass viele Leute nicht bereit sind, ein paar Euro mehr für persönliche  Beratung zu bezahlen“, klagt Lennertz. Zum Schluss sei er sich häufig vorgekommen wie ein „Kasper“. Das Verhältnis von Beratungsleistung und Verkaufserfolg stimme schon lange nicht mehr. Er und seine Frau Dagmar wollten das Geschäft nicht bis zum Konkurs durchschleppen, sagt er.

Online-HandelHändler warnen vor Innenstadt ohne Fachgeschäfte

Erst im Fachgeschäft beraten lassen, dann im Internet kaufen – mit diesem Phänomen haben viele Einzelhändler zu kämpfen. Das Ladensterben gehört gerade in kleineren Städten beinahe zum Alltag. Mit sichtbaren Folgen: Leere Ladenlokale prägen mittlerweile das Erscheinungsbild vieler Einkaufsstraßen. In Tönisvorst am Niederrhein haben sich die Händler vor Kurzem zu einer drastischen Maßnahme entschlossen: An einem Samstag waren die Schaufenster von rund 50 Geschäften mit schwarzer Folie beklebt. „So sieht eine Innenstadt ohne Fachgeschäfte aus“, stand in mahnenden Worten darauf geschrieben.

Marc Heistermann kennt die Klagen und Nöte der Einzelhändler. „Gerade kleine Geschäfte leiden unter dem sogenannten Beratungsklau“, sagt der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Ruhr. Optiker etwa berichten von dreisten Kunden, die sich ihre Brille im Internet bestellen und sie dann im Geschäft anpassen lassen wollen.

Online-Handel kann auch Chance sein

Doch Heistermann sieht im Online-Handel nicht nur eine Bedrohung für klassische Geschäfte. Im Gegenteil: Der Weg des Kunden sei keine Einbahnstraße. Viele würden auch zunächst im Internet stöbern, um dann im Geschäft einzukaufen. Zudem könnten Einzelhändler vom Online-Boom profitieren, wenn sie die unterschiedlichen Verkaufs-Kanäle der Konsumenten geschickt nutzen.

Hamer in Bochum, ein alteingesessenes Fotogeschäft in der vierten Generation, hat diese Möglichkeit schon vor einigen Jahren erkannt. Der Kunde kann hier seine Ware über den Online-Auftritt des Geschäfts kaufen und sich zuschicken lassen, aber auch ohne Kauf-Verpflichtung reservieren und hinterher im Laden abholen – Beratungsgespräch inklusive. „Das hat den Vorteil, dass der Kunde informiert wird, falls ein Produkt aus seiner Bestellung gerade nicht vorrätig ist“, erklärt Geschäftsführer Marius Hamer.

Seit dem Räumungsverkauf kommen die Kunden

Zudem werden die Fotohändler mit Hilfe eines Internet-Programms täglich über die Preise der Konkurrenz ins Bild gesetzt. Auch der Kunde kann über einen Button im Online-Shop einen günstigeren Preis-Vorschlag machen. „Bei kleineren Preisspannen prüfen wir, ob wir darauf eingehen“, sagt Hamer. So mancher Käufer wird sicher auch vom Bonus-Gutschein für den Foto-Workshop angelockt. „Wir haben keine Angst vor der Online-Konkurrenz. Inzwischen machen wir mehr als 50 Prozent unseres Umsatzes mit Internetkäufen“, sagt Hamer selbstbewusst.

Auch Wolfgang Lennertz hat über einen Internet-Auftritt seines Geschäfts nachgedacht. „Doch was nützt mir das, wenn die Preise die gleichen sind?“ fragt der Einzelhändler. Günstigere Angebote hätten sich für ihn nicht gerechnet, sagt Lennertz. „Die Gewinnmarge für den Verkauf einer Kamera ist ohnehin gering. Da verdiene ich mehr, wenn ich fünf Passbilder mache.“ Internethändler könnten nur so billig sein, weil sie „Grauware“ aus dem Ausland anbieten würden – ohne Garantie der Hersteller.

Eigentlich wollte Lennertz sein Geschäft erst am 30. April schließen. Doch seit dem Räumungsverkauf  kommen die Kunden - und kaufen. Bis zu 15 Prozent gibt es auf Kameras, 70 Prozent auf Rahmen und Fotoalben. „Die haben den Laden massiv geräubert“, sagt der Fotohändler. „Wir werden sicher schon früher fertig.“ Vermutlich wird das Ladenlokal in Krefeld dann für eine Weile leer stehen. Einen Mieter hat Lennertz noch nicht.