Haltern am See. Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft, schlägt eine nationale Gesellschaft für konventionelle Kraftwerke vor, um den sich anbahnenden nächsten Strukturwandel abzufedern.

Die Industrie-Gewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IGBCE) erinnert sich an ihre Wurzeln und schlägt zur Abmilderung des Strukturwandels in der Energiewirtschaft den Aufbau einer nationalen Gesellschaft vor: Die Energieerzeuger sollten ihre Steinkohlekraftwerke in diese „Deutsche-Steinkohle-Verstromungs-Gesellschaft einbringen“, sagte der IGBCE-Chef Michael Vassiliadis in Haltern.

Damit beschreitet die IGBCE einen Weg aus der Vergangenheit des Strukturwandels im Ruhrgebiet: 1968 brachten 23 Bergwerksunternehmen ihre Zechen in die RAG ein, um damit der Bergwerkskrise zu begegnen. Ziel damals wie heute ist es, den Strukturwandel ohne Brüche und sozialverträglich zu organisieren.

Verbund will Perspektive ohne Steinkohle-Kraftwerke eröffnen

Hintergrund: Das starke Wachstum der erneuerbaren Energien hat die Großhandelspreise für Strom an der Börse so weit in den Keller gedrückt, dass viele Kraftwerke nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind und vom Netz gehen. Zugleich aber müssen Kraftwerke vorgehalten werden, um schnell auf Windflauten reagieren zu können.

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Vassiliadis betonte, es gehe ihm nicht um den Aufbau neuer Kapazitäten, sondern darum, die Energiewende zu begleiten und den Markt effizienter zu steuern. Letztlich, und das macht den Vorschlag spektakulär, geht es auch darum, „den Unternehmen, die sich aus strategischen Gründen neu orientieren, eine Perspektive ohne Steinkohle-Kraftwerke“ zu eröffnen.

„Wir können mit einer solchen Gesellschaft das Auslaufen leichter organisieren“, so Vassiliadis. Die nationale Gesellschaft solle rund 28 bis 30 Gigawatt aufnehmen, das entspricht einem guten Drittel der so genannten konventionellen Energieerzeugung mit Kraftwerken auf Basis von Stein- und Braunkohle, Gas und Atomenergie. Gemessen an modernen Steinkohlekraftwerken wären das rund 30 Anlagen.

75 Prozent Erzeugungskapazitäten entfielen auf die Steag (8000 Megawatt, MW), Eon (5000 MW), RWE (3100, davon 1600 im Bau), Vattenfall (2600, davon 1600 im Bau) und EnBW (1500). Auch Stadtwerke seien eingeladen, ihre Anlagen einzubringen, sagte Vassilliadis. Der Stadtwerkeverbund Trianel etwa betreibt ein neues Kraftwerk in Lünen, von dem bereits jetzt klar ist, dass es im ersten Betriebsjahr 100 Millionen Euro verlieren wird. Der überwiegende Teil der Steinkohlekraftwerke steht im Ruhrgebiet und in NRW. Die Essener Steag ist mit Abstand der größte Erzeuger. Vassiliadis ist auch stellvertretender Aufsichtsratschef des Unternehmens.

Ersparnis von 100 Millionen Euro

Die Deutsche-Steinkohle-Verstromungs-Gesellschaft könne die derzeitigen Betriebs- und Instandhaltungskosten von einer Milliarde Euro um zehn Prozent oder 100 Millionen Euro drücken. In dem Verbund „könnten die jeweils modernsten Kraftwerke mit dem höchsten Wirkungsgrad und dem niedrigsten CO2-Ausstoß“ zum Einsatz kommen.

Die Anteile an der neuen Gesellschaft mit schätzungsweise 5000 Mitarbeitern würden sich nach den Werten der jeweils eingebrachten Kraftwerke bemessen. Innerhalb eines Jahres könnte ein solches Unternehmen stehen, meinte der Gewerkschaftschef. Er habe Steag-Chef Rumstadt, Eon-Chef Teyssen, RWE-Chef Terium, Energieminister Gabriel und NRW-Ministerpräsidentin Kraft über die Idee informiert. „Die Politik ist neugierig, die Wirtschaft interessiert bis abwartend“, so Vassiliadis.

Der Vorschlag, der sicherlich auch kartellrechtliche Fragen aufwirft, löse die Probleme der Energiewende nicht, sei aber ein Beitrag für ein wichtiges Detail. Die Finanzierung der Reservekraftwerke über einen Kapazitätsmarkt sei nach wie vor nötig.