Essen. . Die Zeiten, da Tankstellen den Supermärkten Konkurrenz machten, gehen vorbei: Die Branche befindet sich im Umbruch - und sucht nach neuen Standbeinen

Wolfgang Keller kennt das Geschäft. Seit Mitte der 90er-Jahre betreibt er Tankstellen, und damals ging seine Kalkulation ungefähr so: Die Gewinnmargen für Benzin sind ziemlich gering, also muss eine Tankstelle eben mit Lebensmitteln Geld verdienen.

Nicht mehr nur Autozubehör sollte es in den Shops geben, sondern auch was für den Magen. In seiner Aral-Station in Essen-Frillendorf verkaufte Keller Frischkäse und Joghurt, Tiefkühlpizza und Chips. „Wir waren“, sagt Keller, „ein Ersatz für die kleinen Tante-Emma-Läden, wenn die abends zu hatten.“

Heute ist alles anders. Supermärkte und Discounter haben bis mindestens 22 Uhr geöffnet; viele Tankstellen verdienen immer weniger mit dem Verkauf von Mikrowellen-Essen. Die Betreiber suchen händeringend nach neuen Absatzmärkten.

Die Tankstellen-Branche ist im Umbruch

Keller (59) ist ein freundlicher Mann mit ordentlich gestutztem Bart. Nun steht er in seinem Verkaufsraum an der Ernestinenstraße und betrachtet durch eine rahmenlose Brille die Regale. Der Laden ist vollgepackt mit Kreuzworträtselheften, Stofftieren, Colaflaschen und allem, was Autofahrer auf Achse sonst noch brauchen könnten. Nur das Essen, das ist knapp.

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Auf einer kleinen Ablage stehen Dosen mit Nudeln, Erbsensuppen, Wiener Würstchen, mehr nicht. „Lebensmittel sind für uns kein großes Geschäft mehr. Diesen Rückgang müssen wir irgendwie auffangen.“ Um die 55.000 Euro verdiene er pro Monat mit Benzin. „Die Personalkosten liegen aber schon bei 180.000 Euro, dazu kommt die Pachtgebühr.“

Der Einzelhandel befindet sich im Umbruch – und mit ihm die Tankstellen-Branche. Von Rewe bis Netto, die meisten Märkte haben 15, 17 Stunden täglich geöffnet. „Am deutlichsten spüren das wohl die Tankstellenshops“, glaubt Karl-Erivan Haub, der Chef der Tengelmann-Gruppe (u.a. Kaiser’s). Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbands Freier Tankstellen (BFT), bestätigt: „Die verlängerten Öffnungszeiten haben zu einem Nachdenken geführt.“

Die Tankstelle wird zum Stehcafé

Immer wichtiger wird dagegen das Standbein „Hunger & Durst“, quasi Essen für unterwegs. Esso etwa wirbt mit großem Sandwich-Sortiment, Shell mit süßen Teilchen, Aral spricht vom Bistrogeschäft als „Verkaufsschlager“: Die Tankstelle wird zum Stehcafé. „Die Entwicklung geht Richtung außer-Haus-Verzehr“, so Aral-Sprecher Detlef Brandenburg.

In Zahlen heißt das: Lebensmittel wie Butter, Wurst und Käse machten in den Aral-Shops 2012 gerade mal 0,8 Prozent des Angebots aus, während Getränke sowie Snacks mit je 12 Prozent Regalfüller sind und Aral mit Kaffee mehr als 40 Mio. Euro im Jahr umsetzt. 1995 trug das Benzin noch 28 Prozent zum Aral-Ertrag bei. 2012 ist der Anteil auf 12 Prozent abgesackt.

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Das Kerngeschäft verliert also seit Jahren an Bedeutung, zumal die Gewinnmargen gering sind. Wolfgang Keller, der Pächter aus Essen-Frillendorf, bekommt nach eigenen Angaben nur 1,1 Cent je Liter. Der BFT spricht von knapp 5 Prozent Marge.

Die Branche steht vor einer ungewissen Zukunft. Beobachter erwarten daher, dass Tankstellen nicht nur immer mehr auf Systemgastronomie setzen, sondern ihr Gesicht komplett verändern werden. „Die Überlegung geht dahin, sich wieder auf die Ursprünge zu konzentrieren“, sagt Keller. Sprich: auf Autozubehör, auf Scheibenwischer oder Lackpolitur.

Einige Produkte genießen indes Bestandsschutz. Während Keller erzählt, betritt eine Frau den Shop. Sie kauft eine Schachtel Zigaretten, geht wieder. „Daran verdiene ich fast nichts“, sagt Keller. „Aber Zigaretten gehen immer noch am besten weg.“