Essen. Seit einem Jahr ringen Brüssel und Berlin um ein Kältemittel für Auto-Klimaanlangen. Nun zieht die EU-Kommission die Daumenschrauben an - sie verlangt Antworten von der Bundesregierung. Das Kraftfahrtbundesamt hatte Mercedes-Modelle zugelassen, in denen die Klimaanlagen mit einem verbotenen Kältemittel arbeiten. Daimler könnte gezwungen sein, 130.000 Autos zurückzurufen.
Ihre Ambitionen beim Klimaschutz hat die EU gerade erst zurückgeschraubt. Und gleichzeitig ihr Herz für die Industrie wieder entdeckt. So las zumindest das Gros der Kommentatoren die Brüsseler Nachrichten vom Mittwoch. Wie beharrlich Europa aber sein kann, wenn es um einmal getroffene Regeln für die Industrie geht, bewies die Kommission schon am Tag darauf. Sie kündigte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland an, weil es den Autobauer Daimler nicht daran hindert, weiter ein altes, klimaschädliches Kältemittel in seine Klimaanlagen zu kippen.
Damit eskaliert ein Streit, der alles hat, was ein Konflikt zwischen Land und Kontinent so bieten kann. Es geht um Klimaschutz, Regulierungswut und die vermeintliche Engstirnigkeit Brüsseler Eurokraten. Eindeutig ist allerdings nichts in diesem Fall.
Das alte Mittel gilt als Klimakiller
Weil seit 2013 EU-weit schärfere Klimaschutzrichtlinien gelten, darf die Autoindustrie das chemische Kältemittel R134a nicht mehr verwenden. Es ist 250-mal klimaschädlicher als das Konkurrenzprodukt 1234yf, nunmehr einziges zugelassenes Mittel in Europa. Deshalb soll der Klimakiller bis 2016 aus den Autos verschwinden, neue Fahrzeugtypen dürften mit ihm nicht mehr zugelassen werden. Genau das hat das Kraftfahrtbundesamt aber bei Daimler-Modellen getan. EU-Industriekommissar Antonio Tajani kündigte deshalb an, Daimler könnte am Ende gezwungen werden, mindestens 130.000 Autos zurückzurufen.
Das wäre ein einmaliger Eklat zwischen Brüssel und dem Autoland mit dem Kennzeichen D. Natürlich wehrt sich Daimler. Die Stuttgarter halten das neue Kältemittel im Wortsinn für brandgefährlich. Eigene Tests hatten 2012 ergeben, was die Hersteller des Mittels bestreiten: Nach einem Crash war es zum Brand gekommen und dabei stark ätzende Flusssäure ausgetreten.
Unterstützung von ungewöhnlicher Seite erhielt Daimler erst diese Woche: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) präsentierte einen neuen Brandtest, bei dem sich herausgestellt habe, dass 1234yf noch gefährlicher sei als bisher angenommen. Dabei traten giftige Gase (Fluorwasserstoff) in einer Konzentration aus, die laut DUH „bereits nach kurzer Zeit zu irreversiblen gesundheitlichen Schäden“ führen. Bereits die Risiken bei den alten Tests hatte sie als „lebensbedrohlich“ eingestuft. In den bisherigen Tests sei nur geprüft worden, ob auslaufendes Kühlmittel sich selbst am heißen Motor entzünde. Die DUH wollte dagegen wissen, was passiert, wenn etwa durch einen Kabelbrand Feuer entsteht.
Die Tests führte eine TÜV-Nord-Tochter durch. Die Umwelthilfe gilt nicht eben als industriefreundlich, schon gar nicht zu Daimler. Den Konzern überzog die DUH unlängst mit einer Klage gegen irreführende Werbung, weil die S-Klasse als umweltfreundlicher dargestellt werde als sie in Wahrheit sei.
Die Umwelthilfe fordert ein Verbot des neuen Kältemittels. Bereits 100 000 Autos, die 2013 zugelassen wurden, führen damit durch Deutschland und brächten „ein neues Gefährdungspotenzial in den Straßenverkehr“, warnt Projektleiter Patrick Huth.
Umwelthilfe stützt Daimler
Stattdessen plädiert die Umwelthilfe für den Einsatz von CO2. Das schadet dem Klima zwar auch, das alte Mittel R134a aber noch 1000-mal mehr. Genau daran arbeitet Daimler wie andere Autobauer, etwa VW, braucht aber noch Zeit. Klimaanlagen mit CO2 könnten erst 2017 serienreif werden, so lange will der Konzern noch das alte Mittel verwenden.
EU-Kommissar Tajani warnte gestern auch Großbritannien, Belgien und Luxemburg, die ebenfalls neue Modelle mit altem Kühlmittel zugelassen hatten. Wie Deutschland haben sie nun zwei Monate Zeit, sich zu äußern. Die Bundesregierung erklärte lediglich, es seien noch Fragen zur Risikobewertung des neuen Mittels offen.