Berlin. . Die Wissenschaftlerin Maike Gossen erforscht das Comeback der Nachbarschaftshilfe im digitalen Zeitalter. Internetbörsen machen das Leihen und Tauschen heutzutage leichter denn je. Und trotzdem hat die “Sharing Economy“, also die Kultur des Teilens, ihre Tücken.
Es gibt diesen „Will-ich-haben-Reflex“. Natürlich kennt auch Maike Gossen ihn. Mein Haus, mein Auto, mein Laptop. Kaufen. Kaufen. Kaufen. Aber Gossen kämpft dagegen. Als Forscherin. Genauer: Gossen geht der Frage nach, ob wir eines Tages aufhören werden, permanent einzukaufen und Besitz anzuhäufen – und stattdessen in großem Stil teilen und leihen.
Ein Treffen. Halb zehn morgens. Ein Szene-Café in Berlin. Direkt um die Ecke von Gossens Büro im Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. „Haben Sie ein Auto?“ „Nein.“ „Lesen Sie Bücher“ „Nur digital, als E-Book“. „Frau Gossen, wie oft kaufen Sie neue Klamotten?“ „Zu häufig.“ Sie kämpft – auch privat.
Die Sache mit der Sharing Economy, mit der Kultur des Teilens ist nicht einfach. Trotzdem elektrisiert sie die Vordenker des Postwachstums, der Idee vom baldigen Ende des fortwährenden Wachstums. Gossen ist eine der wenigen in Deutschland, die den Hype wissenschaftlich zu fassen versuchen. Ihr fallen noch ein paar Männer ein, die das hierzulande auch erforschen, eine andere Frau aber nicht.
Idee der 70er lebt im Internet auf
Dennoch: Gossen, 29, blond, schlicht gekleidet, bleibt unprätentiös. Die gebürtige Aachenerin sagt „wir erforschen“, nie ich. Und sie sagt, „ich will nicht die Lorbeeren ernten, die andere verdienen.“ Die Medienwissenschaftlerin prescht nicht vor, versteht sich nicht als neues Gesicht einer Bewegung.
Sie will keine zweite Rachel Botsman werden, die mit ihrem Buch „What’s mine is yours“ den Begriff „Collaborative Consumption“ (gemeinschaftlicher Konsum) öffentlichkeitswirksam in die Welt setzte. Die Britin schaffte es damit sogar auf die Liste des „Time Magazine“ mit den „10 Ideen, die die Welt verändern werden“. Gossen ist die Frau für die Analyse, nicht für die Schlagworte.
Wieso wird das System von Teilen und Tauschen, das Sache der Hippies in den Siebzigern war, wieder hip? „Weil es die Technik der Generation facebook und Smartphone gibt“, sagt sie. Das Internet lasse die Welt schrumpfen zu einem Ort, in dem Autos geteilt, Kinderspielzeug im ganzen Land weitergegeben und Bücher verliehen werden. Nachbarschaftsauto.de, frents.com, kleiderkreisel.de – Gossen zählt eine Reihe von Seiten im Netz auf, die jene, die etwas haben, mit denen, die etwas wollen, schnell zusammenbringt.
Der Flohmarkt ist zurück? „Irgendwie schon“, sagt Gossen. Statussymbole seien nicht mehr so wichtig. Fielen Eigentumspflichten weg, gelte dies als komfortabel. Geld zu sparen, spiele auch eine große Rolle.
Muss man die Sharing Economy ernst nehmen?
Mit Öko hat das alles nichts zu tun? Gossen meint: „Wenig“. Zumal die Effekte nicht klar seien. Wer ein Buch von München nach Berlin karre, belaste die Umwelt. Wer eine gebrauchte DVD billig erstehe, kaufe womöglich gleich mehrere. Vielen gehe es nicht darum, die Welt zu retten. Sie freuten sich aber über den Gemeinschaftssinn, die neue Nachbarschaftshilfe.
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Geht das über die hippen Leute in Berliner Cafés hinaus? Gossen zögert. Sie will die Kultur des Teilens nicht kleinreden. Immer wenn sie nachdenkt, faltet sie ihre Hände neben ihrem Latte-macchiato-Glas auf dem Tisch. Ja, das seien vor allem „jüngere Leute, gebildet, mit höherem Einkommen“.
Sie hat dazu schon ihre Magisterarbeit geschrieben, sie hat analysiert, wer sich warum das Auto mit anderen teilt. Hände auseinander. Wieder zusammen. „Ja, das ist eher ein städtisches Phänomen.“ Pause. „Eine Elite.“
Was heißt das für jene in Duisburg oder Essen, die mit einem normalen Verdienst ein normales Leben leben wollen? Muss man die Sharing Economy überhaupt ernst nehmen? „Ja“, sagt jetzt die Forscherin.
Sie hat dazu zwar keine Studie, keine aktuellen Zahlen, aber ein Indiz: Der Verband der Autovermieter hat vor Kurzem gegen Internetplattformen für privates Car-Sharing geklagt. Gossens Fazit: „Sie werden groß und damit zur Konkurrenz.“