Stuttgart. Die Weihnachtszeit ist für den Einzelhandel die wichtigste im ganzen Jahr. Der schwelende Tarifstreit in der Branche könnte das Geschäft aber empfindlich stören. Im für die Arbeitgeber schlimmsten Fall streiken die Beschäftigten in den Wochen vor Weihnachten.
Tatenlose Kassierer im Supermarkt, fehlende Verkäufer im Modehaus: Gerade zur Weihnachtszeit ist das im Einzelhandel undenkbar. In diesem Jahr könnte genau dieses Szenario allerdings Realität werden. Der Tarifkonflikt in der Branche schwelt bereits seit Jahresbeginn - und die Fronten scheinen so verhärtet, dass er auch in der für den Handel so wichtigen Adventszeit zu Streiks führen könnte. Für die Gewerkschaft wäre es ein weiteres Druckmittel.
"Wenn sich überhaupt nichts bewegt, dann wird die Konsequenz natürlich sein, dass die Beschäftigten zur Weihnachtszeit streiken", sagt Verdi-Sprecherin Christiane Scheller.
2,7 Millionen Beschäftigte sind betroffen
Die Tarifverhandlungen, die sich neben Lohnerhöhungen auch um den Manteltarifvertrag von bundesweit 2,7 Millionen Beschäftigten drehen, ziehen sich mittlerweile bereits über ein halbes Jahr. An diesem Dienstag (12.11.) gehen sie in Baden-Württemberg in die sechste Runde. Scheller: "Das ist über ein reines Vorspiel längst hinaus."
Wegen des bevorstehenden Weihnachtsgeschäfts steigt nun der Druck, in den regional geführten Verhandlungen endlich zu ersten Ergebnissen zu kommen. Nach Angaben des Handelsverbands HDE machen allein die Monate November und Dezember ein Fünftel des gesamten Jahresumsatzes aus. Bereits 2005 und 2007 hatte es zu dieser Zeit Streiks im Einzelhandel gegeben.
"Das Weihnachtsgeschäft ist für die Branche der absolute Höhepunkt eines Geschäftsjahres", betonte HDE-Präsident Josef Sanktjohanser jüngst. In diesem Jahr rechnet der Verband dafür lediglich mit einem Umsatzplus von 1,2 Prozent. Angesichts dessen zähle "jeder Einkauf und jeder Kunde", erklärte Sanktjohanser. "Daher hat jedes Störfeuer empfindliche Auswirkungen."
Verdi macht sich den Zeitdruck der Arbeitgeber zunutze
In Baden-Württemberg ist Verdi sich dessen durchaus bewusst - und macht es sich zunutze. "Das ist natürlich ein Druck, der auf den Arbeitgebern lastet", sagt Verdi-Verhandlungsführer Wolfgang Krüger. Bereits am Tag vor der nächsten Verhandlungsrunde will die Gewerkschaft allein im Ländle 1500 Streikende mobilisieren.
Verdi fordert im Südwesten einen Euro mehr pro Stunde für die rund 220 000 tariflich Beschäftigten. Deutschlandweit sind die einzelnen Forderungen zum Teil unterschiedlich. In den meisten Bundesländern verlangt Verdi aber entweder einen Euro pro Stunde mehr oder 6,5 Prozent mehr Gehalt.
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Neben dem Geld streiten beide Seiten auch über den Manteltarifvertrag: Die Arbeitgeber wollen Gehaltsstrukturen und Arbeitszeiten überarbeiten, weil sie die Regelungen für veraltet halten. Die Gewerkschaft will daran indes nicht rütteln. "Es ist ein dickes Brett zu bohren", sagt Krüger. Immerhin da sind sich beide Seiten einig.
"Ein Vorankommen erhoffen sich alle", betont Baden-Württembergs HDE-Verhandlungsführer Philip Merten. "Wir versuchen über die Sacharbeit an verschiedenen Themen zu einer Lösung zu kommen." Wann die gefunden werde, könne er derzeit aber nicht abschätzen. Um die Einbußen für die Beschäftigten einzudämmen, hatte der Verband seinen Mitgliedern bereits im Sommer eine Lohnerhöhung von 2,5 Prozent auch ohne Tarifeinigung empfohlen.
Arbeitgeber hoffen auf Nachsicht der Beschäftigten
In Bayern waren die Fronten zuletzt so verhärtet, dass beide Seiten die Segel strichen. Einen neuen Verhandlungstermin vereinbarten Arbeitgeber und Gewerkschaft zuletzt gar nicht mehr. Es bleibe noch die Möglichkeit, dass in einem anderen Bundesland eine Lösung gefunden werde, hatte Bayerns Verdi-Verhandlungsführer Hubert Thiermeyer damals gesagt. "Ansonsten sind Streiks im Weihnachtsgeschäft nicht mehr auszuschließen."
Hinweise, dass der Durchbruch am Dienstag in Baden-Württemberg gelingt, gibt es keine. Die anderen Länder dürften die Verhandlungen dennoch aufmerksam verfolgen: "Der Blick auf Baden-Württemberg ist immer interessant, weil das einfach ein bedeutendes Tarifgebiet ist", sagt Verdi-Verhandlungsführer Merten. "Was hier passiert, hat immer eine gewisse Strahlwirkung."
Für das Weihnachtsgeschäft hofft er unterdessen auf Nachsicht bei den Beschäftigten. "Die Arbeitnehmer wissen, dass das Geld erstmal verdient werden muss, bevor es höhere Löhne gibt." (dpa)