Düsseldorf. . 1,6 Millionen Tonnen Giftmüll wurden bis 2006 in alten Zechen-Schächten in Nordrhein-Westfalen verklappt. Das Land NRW will jetzt eine unabhängige Untersuchung über eine eventuelle Gefährdung des Trinkwassers in Auftrag geben.

Was Garrelt Duin (SPD) am Mittwoch ankündigte, klang nach brutalstmöglicher Aufklärung: „Wenn das für irgendjemanden unangenehm oder teuer wird, ändert das nichts daran, dass wir das so machen“, drohte der NRW-Wirtschaftsminister im Landtag. Gemeint war ein Thema, das man jahrzehntelang im Wortsinn verschüttet glaubte – die Verklappung von Sondermüll in stillgelegten Steinkohlebergwerken.

Insgesamt rund 1,6 Millionen Tonnen „bergbaufremde Abfälle“ wurden von Mitte der 1980er-Jahre bis 2006 in elf Zechen abgelegt. Was einst als industriefreundliche Entsorgungspolitik und sinnvolle Verfüllung von Hohlräumen galt, wächst sich allmählich zum Politikum aus. Allein 580 000 Tonnen an hochgiftigem Müll aus Stahl-, Zement- und Klärwerken sollen in den Zechen Walsum (Duisburg), Hugo/Consolidation (Gelsenkirchen) und Haus Aden/Monopol (Bergkamen) verpresst worden sein. Rund eine Million Tonnen weiterer Müll mit unterschiedlicher Mischung wurden auf Fürst Leopold/Wulfen und Lippe (beide Dorsten), Auguste Victoria (Marl), Blumenthal/Haard (Recklinghausen), Ewald/Schlägel & Eisen (Herten), Lohberg/Osterfeld (Oberhausen), Friedrich Heinrich (Kamp-Lintfort) sowie Emil Mayrisch (Alsdorf) eingelagert.

Krisensitzung mit Behörden und Gutachtern

Die Landesregierung lädt in der kommenden Woche zu einem Runden Tisch, den man auch Krisensitzung nennen könnte. Teilnehmen sollen Vertreter von Wirtschafts- und Umweltministerium, der Geologische Dienst des Landesumweltamtes, die bei der Bezirksregierung Arnsberg angesiedelte Bergbehörde und die beiden privaten Gutachter Harald Friedrich und Peter Carls. Zudem will das Land seinerseits eine umfassende unabhängige Überprüfung in Auftrag geben.

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Friedrich war als ausgewiesener Wasserexperte von Privatleuten beauftragt worden und hatte das Thema Mitte Juli überhaupt erst auf die Tagesordnung gebracht. Er kritisierte die Genehmigungspraxis für die Sondermüll-Lagerung und deren Überwachung. Zudem warnte er explizit vor Gefahren für das Grundwasser. Spätestens mit Ende des deutschen Kohlebergbaus 2018, wenn der Grundwasserspiegel nicht mehr durch Pumpen künstlich niedrig gehalten wird, könnten sich die gefluteten Schächte zum gefährlichen Schadstofftransporteur bis in oberflächennahe Regionen entwickeln. Der Braunschweiger Geologe Carls hat herausgefunden, dass es bereits klare Hinweise auf Süßwasser in den Schachtanlagen gegeben habe. Das gilt als Indiz für eine Berührung zu den Grundwasser führenden Schichten.

Die Umweltorganisation BUND spricht von „giftigen Untertage-Zeitbomben“ im Ruhrgebiet. Wirtschaftsminister Duin betont dagegen immer wieder, dass eine Umweltgefährdung bislang gar „nicht erkennbar“ sei. Sämtliche Untersuchungsergebnisse lieferten keinen Hinweis darauf, dass Stoffe ausgetreten sein könnten oder ausgespültes Gift das Trinkwasser verseuche. Auch der Bergwerkskonzern RAG und die zuständigen Überwachungsbehörden halten die Sondermüll-Lagerung weiterhin für sicher.

Landtagsopposition wirft Regierung vor, die Aufklärung zu verschleppen

Dennoch wächst der politische Druck, sich die Altlasten noch einmal näher anzusehen. CDU und FDP im Landtag kritisierten, dass die Landesregierung die Aufklärung verschleppe. „Seit zwei Monaten gibt es konkrete Hinweise, dass durch die Verklappung von Giftmüll in stillgelegten Bergwerken der RAG eine Gefährdung für die Trinkwasserversorgung besteht“, sagte CDU-Bergbau-Experte Josef Wirtz.

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Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) äußerte Verständnis für die wachsende Besorgnis von Bürgern: Auch bei der Lagerstätte Asse habe man behauptet, Atommüll sei dort auf Jahrhunderte sicher, doch bereits nach 20 Jahren sei Wasser eingedrungen. Die jetzt anlaufende Untersuchung des Landes umfasst die Genehmigungspraxis vergangener Landesregierungen, mögliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und die Schaffung eines Grundwasser-Frühwarnsystems.

Zunächst muss rekonstruiert werden, welches Müllgemisch wo lagert. Viele Akten befinden sich bereits im Düsseldorfer Landesarchiv. Dass dieses giftige Erbe des Bergbauzeitalters noch einmal gehoben und womöglich auf Sonderdeponien verbracht werden muss, galt lange als undenkbar.