Karlsruhe. . Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Dienstag über die Frage, ob der Braunkohle-Tagebau die Zwangsenteignung von Anwohnern rechtfertigt. Bricht Bergrecht Grundrecht? Allein im nordrhein-westfälischen Garzweiler II sollen bis 2045 noch mehrere tausend Menschen weichen.

In Kriegen werden Dörfer dem Erdboden gleich gemacht - im Braunkohletagebau Garzweiler II bei Mönchengladbach verschwinden Dörfer mitsamt dem Boden, auf dem sie stehen. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Dienstag auf die Klage der Naturschutzorganisation BUND und eines betroffenen Bürgers über die Zulässigkeit von Zwangsenteignungen und ein Recht auf Heimat – mit womöglich weitreichenden Folgen.

Die beiden nach dem Dorf Garzweiler benannten Tagebaugebiete haben gigantische Ausmaße: Garzweiler I hat auf 66 Quadratkilometern mehr als ein Dutzend Dörfer verschlungen. Garzweiler II frisst sich seit 2006 von Osten her auf die Stadt Erkelenz zu und ist auf 48 Quadratkilometern geplant. Dort liegen 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle, die bis ins Jahr 2045 abgebaut werden sollen. Bei ihrer Verbrennung entstünden nicht nur rund 1,2 Milliarden Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid. Es müssten überdies weitere 7600 Menschen umgesiedelt werden.

Gigantische Dimensionen – aber wie groß ist das öffentliche Interesse?

Am Ende soll die riesige Grube dann mit rund 60 Millionen Kubikmetern Rheinwasser im Jahr geflutet werden. 40 Jahre lang, denn der künstliche See soll 23 Quadratkilometer groß und 185 Meter tief werden.

Gut möglich, dass Karlsruhe mit der Prüfung des Bundesberggesetzes einen dicken Strich durch diesen Gigantismus macht: Das Gesetz erlaubt zwar die Zwangsenteignung von Bürgern, wenn der Abbau von Rohstoffen „dem Wohle der Allgemeinheit dient“. Solche Eingriffe in das Grundrecht auf Eigentum sind laut einem früheren Karlsruher Urteil aber nur zulässig, wenn an ihnen „ein besonders schwer wiegendes, dringendes öffentliches Interesse“ besteht.

Die Braunkohle ist verzichtbar, sagt der BUND

Doch diese Interessensabwägung fand Klägeranwalt Dirk Teßmer zufolge beim Abbau in Garzweiler nie statt. „Bergrecht bricht deshalb Grundrecht“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND in NRW. Die Organisation will deshalb vor Gericht nachweisen, dass der Braunkohleabbau zur Stromproduktion bereits in der Genehmigungsphase von Garzweiler II nicht nötig war, um die Energieversorgung bundesweit sicherzustellen.

Dies gelte in Zeiten der Energiewende um so mehr: Zwar wird heute rund ein Viertel des Stroms bundesweit aus der klimaschädlichen Braunkohle produziert und damit mehr als in jedem anderen Land der Welt. Doch ein Gutteil des hier hergestellten Stroms geht Jansen zufolge in den Export: Rund 23 Terawattstunden, die Jahresproduktion von zwei Kernkraftwerken, waren es allein 2012. Zudem seien flexible Gas- statt schwerfälliger Kohlekraftwerke nötig, weil nur sie flexibel auf die schwankende Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien reagieren können.

Ökonomen springen den Umweltschützern bei

Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kam in einer Studie vom April zu dem Ergebnis, das die Braunkohle-Verstromung für die Energiewende unnötig ist. Selbst die Erschließung neuer Tagebau-Felder sei „nicht notwendig und nicht wirtschaftlich“, erklärte das DIW.

Gesundheitliche Schäden wegen des Feinstaubs und giftiger Partikel aus den Schloten der Kohlekraftwerke verursachen zudem Kosten in Milliardenhöhe, wie die Allianz Gesundheit und Umwelt (HEAL) Ende April mitteilte. Für Jansen ist es deshalb unfassbar, das trotz all dieser Fakten an dem „Wahnsinnsprojekt“ festgehalten wird.

Auswirkungen auch für die Lausitz – und für das Fracking

Sollte Karlsruhe mit Blick darauf eine Reform des Bergrechts mit höheren Hürden für Zwangsenteignungen verlangen, könnte das bundesweite Folgen haben. Nicht nur für den Tagebau etwa in der ostdeutschen Lausitz: Auch die Diskussion um die Erdgasgewinnung mit dem sogenanntem Fracking, dem Aufsprengen von Gesteinsschichten mittels gefährlicher Chemikalien, bekäme womöglich eine neue Note. (afp)