Karlsruhe/Düsseldorf. Der ehemalige WestLB-Chef Sengera sieht sich möglicherweise bald wieder vor Gericht: Der Bundesgerichtshof sieht Lücken im Urteil des Düsseldorfer Landgerichtes. Das hatte Sengera 2008 vom Vorwurf der Untreue nach einer umstrittenen Kreditvergabe freigesprochen.

Der Freispruch für den früheren WestLB-Vorstandschef Jürgen Sengera im Untreue-Prozess um die Vergabe eines Großkredits steht auf der Kippe. Das wurde am Donnerstag in der Revisionsverhandlung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe deutlich. Der 3. Strafsenat sieht mehrere «Lücken» im Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom Juni 2008, wie der Vorsitzende Richter Jörg Peter Becker sagte. Es sei fraglich, ob das Urteil dennoch Bestand haben könne. Die Bundesanwaltschaft, die die Revision der Staatsanwaltschaft vertrat, forderte eine Aufhebung des Freispruchs. Der BGH will am 13. August sein Urteil verkünden.

400 Millionen Euro Schaden

Das Landgericht sah es nicht als erwiesen an, dass sich Sengera der Untreue zum Nachteil der Westdeutschen Landesbank schuldig gemacht hatte. Sengera hatte in den Jahren 1999/2000 die Vergabe eines Kredits an den britischen Fernsehgeräte-Verleiher Boxclever in Höhe von insgesamt 1,35 Milliarden Euro verantwortet. Nach der Insolvenz der britischen Unternehmensgruppe im Jahr 2003 entstand für die WestLB ein Schaden von über 400 Millionen Euro.

Nach den Urteilsfeststellungen hat der heute 66 Jahre alte Sengera zwar den Millionenschaden für die Bank «verursacht». Denn er habe bei der Vergabe des Großkredits seine Pflicht, die wirtschaftlichen Verhältnisse von Boxclever sorgfältig zu prüfen, verletzt und gravierende Risiken der Kreditgewährung vernachlässigt. Sengera habe aber der WestLB nicht vorsätzlich einen Schaden zufügen wollen, befand das Landgericht. Der Vorsatz sei aber für eine Verurteilung wegen Untreue erforderlich.

Bundesanwaltschaft sieht schwere Versäumnisse

Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Ralf Wehowsky, nannte die Verneinung eines direkten oder auch nur bedingten Vorsatzes durch das Landgericht «rechtswidrig und irrig». Sengera habe wissentlich keine Marktanalyse zur Vermietung von TV-Geräten in Großbritannien in Auftrag gegeben, «obwohl sich das aufgedrängt hätte».

Boxclever ging damals aus der Fusion der Firmen Granada und Thorn hervor. Die Idee des Unternehmens, in großem Stil TV-Geräte zu verleihen, schlug jedoch fehl. Der einstmals interessante Markt brach 2003 zusammen, weil TV-Geräte in Großbritannien so günstig wurden, dass die Kunden sie gleich kauften, statt sie zu mieten.

Der Revisionsanwalt Sengeras, der renommierte Frankfurter Strafverteidiger Eberhard Kempf, sagte, es wäre für seinen Mandanten «zu viel» verlangt gewesen, eine eigene Marktanalyse machen zu lassen. Die beiden fusionierten Firmen hätten damals zusammen 80 Prozent des Marktes beherrscht. Sengera habe deshalb «darauf vertrauen können, dass der Markt sich stabil weiter entwickeln würde» und Boxclever verantwortungsvoll geleitet werde, sagte Kempf.

BGH sieht viele offene Fragen

Der Vorsitzende Richter Becker betonte jedoch, das Düsseldorfer Urteils lasse zahlreiche Fragen offen, etwa zum Umfang der erfolgten Prüfung der Risiken. «Wir haben einfach Schwierigkeiten mit diesem Urteil», betonte Becker. Das Urteil zähle zwar einen «bunten Strauß» vermeintlicher Pflichtverletzungen auf, begründe diese aber teilweise nicht näher. Dies sei ein Dilemma, weil der BGH damit bei der Beurteilung der Vorgänge «allein gelassen» werde. Es gebe mehrere «Punkte, wo wir ziemlich im Dunkeln tappen», sagte Becker. Ob diese Schwachstellen zwingend zur Aufhebung des Urteils führen müssen, ließ Becker offen.

Sengera war zwar bei der BGH-Verhandlung anwesend, verzichtete aber auf ein Schlusswort. Auch anschließend äußerte er sich nicht. (ddp)