Essen. Jürgen Claassen, im Vorstand von Thyssen-Krupp bis dato zuständig für Kommunikation, lässt sein Amt bis auf weiteres ruhen. Vorausgegangen sind wochenlange Berichte über Luxusreisen mit Journalisten. Die Lage im Konzern ist explosiv.
Der Druck ist zu groß geworden. Nach drei Wochen Berichterstattung über Luxusreisen hat Jürgen Claassen, im Vorstand von Thyssen-Krupp zuständig für die ordnungsgemäße Geschäftsführung und Kommunikation, am frühen Samstagabend den Aufsichtsrat gebeten, ihn „bis auf weiteres“ von seinen Aufgaben zu entbinden. Claassen habe aus eigenen Stücken gehandelt, wie es im Unternehmensumfeld heißt. In einer Pressemitteilung hieß es, er wolle „angesichts der derzeitigen öffentlichen Berichterstattung Schaden vom Unternehmen fernhalten“.
Über einen etwaigen Rücktritt muss letztlich der Aufsichtsrat am 10. Dezember entscheiden. Man kann aber wohl davon ausgehen, dass auf der Sitzung Aufsichtsratschef Gerhard Cromme seinen wichtigsten Vertrauten im Vorstand verlieren wird. Vorangegangen waren mehrere Veröffentlichungen in der „Welt am Sonntag“ über Luxusreisen mit Journalisten, die in der Verantwortung von Claassen stattgefunden hatten, wie auch Dienstreisen von Claassen, bei denen Privates und Interessen der Firma vermischt worden sein sollen. Bei letzteren Vorwürfen hat Claassen angegeben, private Anteile auch privat bezahlt zu haben. Für die Luxusreisen hat er sich unlängst vor dem Aufsichtsrat entschuldigt und die Reisen als unangemessen bezeichnet. Am Freitag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Essen wegen des Verdachts auf Untreue ermittelt.
Die Post von Bertold Beitz bearbeitet
Damit geht eine bemerkenswerte Karriere eines Revier-Urgewächses zu Ende. Der 54-jährige Sohn des früheren Chefs der Essener Messe hat sich eine unvergleichliche Machtposition bei Thyssen-Krupp aufgebaut. Noch als Kommunikationschef hat Claassen die Post von Berthold Beitz erledigt, wie auch die von Cromme und dem damaligen Chef Ekkehard Schulz. An Claassen kam keiner vorbei, wenn der es nicht wollte. Er hat (oder hatte) das Vertrauen von Beitz, dem Vorsitzenden der Krupp-Stiftung und Ehrenaufsichtsrat, und das von Cromme, der auch dem Siemens-Aufsichtsrat vorsitzt.
Claassen verstand sich immer als Diener – für Thyssen-Krupp, wo er vor 28 Jahren bei Krupp begann, aber auch für seine Chefs. Selbst als Vorstand kümmerte er sich noch darum, dass die Fotos von den Vorstandsvorsitzenden so geschossen wurden, dass sie den Chef ins rechte Licht rückten. Das hat Tradition bei Thyssen-Krupp, wie die bis auf den Millimeter abgemessenen Fotos aus der 200-jährigen Geschichte zeigen: vorne die Nummer eins, ein Meter dahinter die Nummer zwei. Hierarchien auf Zelluloid.
Enge Verbindung mit Cromme
Claassen hat sich in diesem Verständnis der Öffentlichkeitsarbeit ein durchaus robustes Mandat gegeben. Gegen kritische Berichterstattung ging er mit Härte vor, und er suchte sich Verbündete unter den Presseleuten. Das ist zwar Aufgabe eines Kommunikationschefs, die Methoden indes waren aus der alten Krupp-Zeit. Aus dieser Zeit stammt die Verbindung zum damaligen Krupp-Chef Cromme (69). Claassen hat Cromme in den turbulenten Zeiten der Schließung des Stahlwerks Rheinhausen wie ein Bodyguard zu schützen gesucht, etwa als Puppen mit Crommes Namen darauf von aufgebrachten Stahlwerkern verbrannt wurden. Das verbindet.
Claassen hat mit seinem Wissen gearbeitet, er hat Karrieren gemacht und beendet. Da bleiben Feindschaften zurück. Und dass nun aus dem Innersten des Konzerns Reiseunterlagen in der Öffentlichkeit auftauchen, kann durchaus mit offenen Rechnungen zu tun haben. Heinrich von Pierer, der als Siemens-Chef über eine Korruptionsaffäre stürzte, wird da immer wieder genannt. Aber auch Ekkehard Schulz, der frühere Chef von Thyssen-Krupp, der eine Tages, als das von ihm zu verantwortende Debakel um das Stahlwerk in Brasilien auf einen Höhepunkt zusteuerte, im Handelsblatt ohne Quellenangabe lesen musste, Beitz habe ihm das Vertrauen entzogen und sei tief enttäuscht. Von Verschleierung der Kosten war die Rede, einem „unverzeihlichen Loyalitätsbruch“. Das traf Schulz wie ein Keulenhieb. Das Heft des Handelns war ihm entzogen, selbst in der Übernahme der Verantwortung musste er als Getriebener erscheinen.
Unsaubere Geschäfte
Zuletzt geriet Thyssen-Krupp immer häufiger in die Schlagzeilen wegen unsauberer Geschäfte. Diese Zeitung deckte ein Schienenkartell auf, an dem der Konzern beteiligt war, kürzlich tauchte ein Korruptionsfall im Bereich Bautechnik auf. Die Frage nach der Verantwortung im Vorstand wird gestellt, externe Prüfer prüfen. Zuständig für die ordnungsgemäße Geschäftsführung und Aufklärung war Claassen. Im Essener Quartier ist eine schwer zu durchschauende, aber explosive Gemengelage entstanden. Sind es Machtkämpfe im Vorstand, wo Edwin Eichler unter Druck steht, weil in seinen Verantwortungsbereich das Schienenkartell gefallen ist wie auch der jüngste Fall? Sind es Rachefeldzüge von Managern, die sich als Opfer von Claassen sehen?
Schwer zu sagen, sicher aber ist: Der Knall war unausweichlich, das Unternehmen beschäftigte sich in der Außenwirkung mit allem, nur nicht den gewaltigen Problemen, die es sich mit dem Brasilien-Desaster eingehandelt hat. So ein Einschlag kann eine Chance sein, um wieder klar zu sehen, wenn sich der Staub gelegt hat. Insofern hat Claassen seinem Unternehmen tatsächlich einen Dienst erwiesen.