Bochum. . Früchtetee, Gemeinschaftsduschen und miefige Etagenbetten sind in der Jugendherberge von heute Vergangenheit. Mit Zimmern auf Hotelniveau halten die Herbergen ihre Gäste – trotz höherer Preise. Wer allerdings nicht mit der Zeit geht, der hat heute keine Chance mehr.
Hinter der Theke reihen sich Flaschen mit Rum, Wodka und Likör aneinander. An einem Pfosten hängt eine Schiefertafel, beschriftet mit Kreide: „Tasse Kaffee mit Double Choc Cookie 2,50 €“. Vor der Theke stehen dunkelbraune Hocker, bezogen mit hellgrünem Leder. Die Bar befindet sich nicht etwa in einem schicken Hotel, nein, sie steht in der Bochumer Jugendherberge – und kommt gut an. „Coole Location“, findet Muzaffer Balci (23) aus Duisburg. Der Einzelhandels-Azubi ist für eine Tagung hier.
Die Zeiten haben sich geändert: Kalter Früchtetee, durchgelegene Matratzen und Zehnbettzimmer waren einmal. Wer heute in eine Jugendherberge fährt, kann mit W-Lan-Anschluss, Frühstücksbuffet und Fernseher auf dem Zimmer rechnen. „Die Ansprüche sind gestiegen“, sagt Dominik Peters (33), Leiter der Bochumer Jugendherberge, die 2009 ganz neu eröffnet wurde. „Die Jugendlichen wollen wie Gäste behandelt werden“, sagt er. Was so selbstverständlich klingt, war es früher eben nicht. Doch heute erwarten seine Gäste Standards wie im Pauschalurlaub – und keinen schrulligen Herbergsvater.
Höhere Ansprüche haben ihren Preis: 28,75 Euro kostet die Übernachtung mit Frühstück. Damit liegt die Bochumer weit über dem Durchschnittspreis aller Herbergen von 19,27 Euro. Vor zehn Jahren waren es noch 12,68 Euro. Doch die höheren Preise werden gezahlt: Die Zahl der Übernachtungen liegt seit Jahren konstant über zehn Millionen.
Immerhin: Die Bettwäsche ist seit 2003 inklusive. Und darin erschöpft sich der neue Service nicht. Stark gefragt sind pauschale Ausflugsangebote, sagt Peters. Starlight Express, Zeche Zollverein, Movie Park: Die Gäste kreuzen in einer Broschüre an, Peters organisiert.
Endlich eine Jugendherberge für Bochum
In Meschede im Sauerland bietet auch Herbergsvater Wolfgang Kühn (56) Programm an: Waldrallyes, Wildnistraining, Klettern. Er sagt: „Früher haben die Lehrer das selbst organisiert.“ Damit die Schüler ihr Gepäck nicht schleppen müssen, holt er Koffer auf Wunsch vom Bahnhof ab. „Heute wollen die Gäste eben ein Rundum-Sorglos-Paket“, sagt Kühn.
Trotz allem kommt die Alterung der Gesellschaft auch in den Jugendherbergen an. Die Schulklassen schrumpfen, Ausflugsfahrten werden kürzer. Schüler machen heute nur noch 39 Prozent der Gäste aus. Will eine Jugendherberge überleben, muss sie andere Gäste locken: Familien und Tagungsgäste sind die neuen Zielgruppen. Familien kehrten früher fast nie in Jugendherbergen ein, heute stellen sie ein Fünftel der Gäste.
Jugendherbergswerk erzielt 330 Millionen Euro Umsatz im Jahr
Auf Familien spezialisiert hat sich etwa die Jugendherberge in Kleve am Niederrhein. 1938 gegründet, wurde sie 2004 grundsaniert, alle 31 Zimmer haben jetzt Dusche und WC. „Wir verleihen zum Beispiel Wickelauflagen, Flaschenwärmer und Schaukelpferde, alles kostenlos“, sagt Herbergsvater Günter Hanselmann (61).
Doch nicht alle Jugendherbergen sind erfolgreich mit der Zeit gegangen. Die Zahl der Häuser ist in den vergangenen 40 Jahren um ein Viertel auf gut 500 gesunken. Viele kleine und alte Gebäude ließen sich nicht mehr renovieren.
Öffentliche Zuschüsse für Sanierungen und Neubauten nehmen ab, heute müssen Jugendherbergen höhere Eigenanteile investieren. Der Umsatz des Jugendherbergswerks wurde 2011 erstmals bundesweit erhoben: 330 Millionen Euro erwirtschaftete der als gemeinnützig eingetragene Verein.
Nicht von ungefähr heißen die Herbergseltern heute Herbergsleiter. „Sie sind nicht mehr Mädchen für alles, die Eintopf kochen und am Lagerfeuer Gitarre spielen“, sagt Knut Dinter, Referent des Jugendherbergswerks. Sie müssen Geschäfte steuern, Personal führen und Marketing betreiben – kurzum: betriebswirtschaftlich bewandert sein. So wie Dominik Peters. Der 33-Jährige hat BWL mit Fachrichtung Touristik studiert. Er führt die Herberge wie ein Hotel. Und dazu gehört eine anständige Bar.