Karlsruhe. Ein Rettungspaket jagt das nächste, die Risiken der Steuerzahler wachsen. Auch deswegen zogen die Gegner des Rettungsfonds ESM vor das Bundesverfassungsgericht. Mit dem Karlsruher Beschluss ist aber klar: Es gibt keine Umkehr. Deutschland ist zum Retten des Euro verdammt. Eine Analyse.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist weltweit aufmerksam beobachtet worden. Schließlich haben auch die USA und China ein großes Interesse an einem stabilen Euro – und guten Geschäftsbeziehungen. Wir analysieren Chancen und Risiken, die das Urteil und die geforderte Haftungsbegrenzung des Rettungsfonds ESM auf 190 Milliarden Euro für deutsche Steuerzahler, Anleger und Arbeitnehmer hat.
Wie Steuerzahler betroffen sind
Für die Steuerbürger ist nun klar: Es darf keinen irgendwie gearteten Automatismus geben, der das deutsche Risiko von 190 Milliarden im gesamten 500-Milliarden-Topf erhöht. Sollte allerdings eine Verschärfung der Euro-Krise in südeuropäischen Ländern eine Ausweitung erforderlich machen, ist dies mit Zustimmung des Parlamentes möglich.
Chance: Es kann sein, dass dieser Rettungsschirm hält und ausreicht für die Staaten, die ihn in Anspruch nehmen müssen.
Risiko: Nach bisheriger Erfahrung ist das eher unwahrscheinlich. Der ESM ist nach den ersten Hilfen für Griechenland (73 Milliarden Euro ausgezahlt), dem zweiten Rettungsschirm EFSF für Portugal und Irland (163 Milliarden teils ausgezahlt) der dritte Versuch, der Euro-Krise Herr zu werden. Bislang sind die Hilfsmittel nur geliehen und werden mit Zinsen zurückgezahlt.
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Es kann aber auch zu einem kompletten oder teilweisen Ausfall der Rückzahlungen kommen. So hat der erste Schuldenschnitt zu Gunsten Griechenlands nicht nur Privatanlegern und Banken die Hälfte des Wertes ihrer Griechenland-Anleihen gekostet, sondern auch Steuerzahler getroffen: Von der Teil-Entschuldung waren auch deutsche Banken in Staatsbesitz wie Hypo Real Estate, WestLB oder KfW betroffen. Der Ausfall wird auf etwa 14 Milliarden Euro geschätzt.
Die Folgen einer Staatspleite
Weitere Schuldenschnitte sind nicht ausgeschlossen, ebenso wenig wie die drohende Zahlungsunfähigkeit südeuropäischer Länder. Hier steht insbesondere Griechenland im Blickpunkt. Eine Zahlungsunfähigkeit eines Landes würde deutsche Steuerzahler noch über einen anderen Pfad der Euro-Rettung betreffen: Die Europäische Zentralbank hat bisher für 210 Milliarden Euro ausländische Schulden, so genannte Staatsanleihen, gekauft. Das Risiko der Deutschen beträgt 70 Milliarden Euro. Bei einer Zahlungsunfähigkeit eines Landes wären dessen Anleihen betroffen – die Bundesbank müsste sie abschreiben, der Steuerzahler den Verlust ausgleichen.
Risiko: Das hängt wesentlich vom Fortgang der Sanierung Griechenlands und Spaniens ab. Derzeit prüfen Experten die Einhaltung der versprochenen Sparmaßnahmen in Griechenland. Davon hängen weitere Hilfen ab. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Stopp weiterer Hilfszahlungen an Griechenland einen Austritt des Landes aus der gemeinsamen Währung nach sich ziehen könnte. Obschon auch Bundeskanzlerin Merkel deutlich gemacht hat, Griechenland unbedingt im Euro halten zu wollen.
Die Folgen eines Euro-Austritts
Eine Rückkehr Griechenlands zur Drachme hat kaum kalkulierbare Folgen. In diesem Fall sind Erschütterungen des Weltfinanzsystems nicht ausgeschlossen: Der Austritt könnte bei den großen Geld-Anlegern wie Banken oder Versicherungen die Erwartung nähren, dass die Euro-Zone auseinanderbrechen, die Politik scheitern könnte. Vermutlich würden dann Gelder aus Spanien abgezogen, die Zinsen als Risiko-Prämie für spanische und vermutlich auch für italienische Staatsanleihen enorm steigen. Diese Länder würden noch tiefer in den Strudel aus wachsender Verschuldung, sinkender Wirtschaftsleistung und niedrigerer Steuereinnahmen gesogen. In diesem Fall müsste die EZB enorme Summen für Anleihekäufe zur Zinssenkung aufwenden, auch der Rettungsschirm dürfte dann nicht ausreichen.
Schon heute wird spekuliert, dass Spanien bis zu 300 Milliarden Euro Hilfen aus dem ESM benötigt, zudem bis zu 100 Milliarden für die angeschlagenen Banken.
Folge für Anleger und Arbeitnehmer
Die Folgen eines Neins zum Rettungsschirm, das machte am Mittwoch Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle deutlich, sind für niemanden zu kalkulieren. In der Tat: Ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone hätte extrem negative Folgen für die deutsche Wirtschaft und Arbeitsplätze.
Risiko: Im Falle einer Rückkehr zur D-Mark würde diese sofort enorm an Wert gegenüber den anderen europäischen Währungen gewinnen. Etwa 40 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen in Euroländer, diese Waren wären über eine Aufwertung der D-Mark quasi von einer drastischen Preiserhöhung betroffen, ein Absatzeinbruch mit steigender Arbeitslosigkeit wären die Folge. Zudem stünde dann sehr schnell die Rückzahlung der bisherigen Kredite in Frage.
Fazit: Der Beschluss des Verfassungsgerichts und die Stärkung des politischen Willens ist klar: Der Weg zur Erhaltung des Euro ist klar eingeschlagen, die wachsenden Risiken zeigen aber auch, dass eine Umkehr unmöglich scheint. Die stärkeren Euro-Länder stützen die schwächeren. Womöglich sind Sparanleger mittelfristig über eine steigende Inflationsrate von einer schleichenden Entwertung ihrer Vermögen betroffen. Das Aktienvermögen, dem reale Gegenwerte an Betriebsvermögen gegenüber stehen, ist von der Teuerung nicht betroffen. Ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone würde aber sicher die Kurse sinken lassen. Gestern sind sie nach dem Karlsruher Beschluss gestiegen.