Neunkirchen-Seelscheid. Ein ewiger Streitpunkt zwischen Energieversorgern und Naturschützern ist die Sicherheit von Vögeln. Dabei gibt es Möglichkeiten, das Stromnetz vogelsicher zu machen - und ein entsprechendes Gesetz. Bis zum Jahresende müssen die Stromanbieter umrüsten. Ihnen bleibt noch viel zu tun.
Horst Fünkler spannt eine Stromleitung mit einem Flaschenzug. Einige Vögel beobachten den 50-jährigen Techniker in Neunkirchen-Seelscheid aus sicherer Entfernung bei der Arbeit. RWE - der größte Stromnetzbetreiber in Deutschland - rüstet derzeit mit Hochdruck Mittelspannungsleitungen um, auch im rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis. Vögel sollen so vor Stromschlägen geschützt werden.
Allein in NRW muss der Versorger eigenen Angaben zufolge 62.000 Masten umbauen, was mehrere Millionen Euro kostet. Eile ist geboten, denn nach dem Bundesnaturschutzgesetz endet am 31. Dezember die Frist für die Umrüstung.
Stromanbieter und Naturschützer arbeiten zusammen
Fünkler löst in zehn Metern Höhe einen Isolator von der Stromleitung. Vorsichtig lässt er das braune Porzellan von einer Hebebühne fallen. "Wir fliegen alle Masten ab und entscheiden, wo der Vogelschutz notwendig ist", erklärt der Leiter für den Netzbetrieb am Standort Siegburg, Thomas Niemann.
Welche Maßnahmen an den verschiedenen Masten erforderlich seien, richte sich nach einer Norm, die gemeinsam mit Naturschutzverbänden erarbeitet worden sei. "Bei dem Stahlmast hier brauchen wir einen Mindestabstand von 60 Zentimetern zwischen der leitenden Traverse und dem Seil", weiß der Fachmann und deutet auf einen Querträger des Mastes.
"Lieber eine halbe Stunde ohne Strom als wieder ein toter Vogel"
Möglichkeiten für ein vogelsicheres Stromnetz gibt es viele. "Hier bauen wir sechs Langstab-Isolatoren ein", schildert Niemann, während Fünkler die besagten 60 Zentimeter langen Kunststoffstäbe montiert. Damit größere Vögel wie Störche, Uhus und Reiher nicht mit ihren Flügeln leitende Teile überbrückten, könnten auch Hauben, Sitzstangen oder sogenannte Büschelabweiser angebracht werden.
Die Büschel bestehen aus acht elastischen Ästen aus Glasfieber oder Kunststoff, die die Vögel vom Stahl fernhalten sollen. "Wenn es für den Steiger zu eng wird, gehen wir auf Leitern hoch und setzen Abdeckhauben auf die Masten", erklärt der Mann in der neongelben Sicherheitsweste.
Anwohner Gerd Knözinger beobachtet die Arbeiten erleichtert. Der 71-Jährige ist mit Kaffee zur Baustelle gekommen. Er erinnert sich noch an jenen Morgen Anfang Juli, an dem er einen toten Uhu neben dem Stahlmast fand. "Ich mochte irgendwann schon gar nicht mehr hierher gehen", sagt Knözinger und fügt hinzu: "Lieber habe ich eine halbe Stunde am Tag keinen Strom, als schon wieder einen toten Vogel auf der Wiese zu finden."
Umrüstung kommt "auf den letzten Drücker"
Dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Rhein-Sieg-Kreis ist der Stahlmast schon lange ein Dorn im Auge. "Dieser Mast ist besonders gefährlich", schimpft Vorstandsmitglied Achim Baumgartner mit finsterer Miene. Große Vögel ließen sich in den Nischen des Querträgers nieder und bekämen einen Stromschlag.
"Die Traverse hätte man bei der letzten Montage schon abnehmen können, dann wäre der Uhu wahrscheinlich nicht verunglückt", vermutet er. Das Gesetz zur Umrüstung sei bereits 2009 ausgefertigt worden. "Der Netzbetreiber macht die Arbeiten also auf den letzten Drücker", sagt der Naturschützer.
Energieversorger wollte Bauvorschrift abwarten
Der Energieversorger weist diesen Vorwurf zurück. Als das Gesetz im März 2010 in Kraft getreten sei, habe es noch keine konkreten Bauvorschriften für die Umrüstung gegeben. "Es macht keinen Sinn, etwas zu montieren und danach kommt eine Norm raus, nach der die ganze Arbeit falsch ist. Das wäre eine Verschwendung von Geld und Mitteln", gibt Niemann zu bedenken.
Den Stahlmast, an dem der Uhu verendete, hat Fünkler inzwischen fast vollständig umgerüstet. Hellblaue Kunststoffstangen glänzen im Sonnenlicht. Zumindest dieser Streitpunkt zwischen dem Energieriesen und den Naturschützern dürfte damit beseitigt sein.