Berlin. Der Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt wurde von düsteren Prognosen überschattet. Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr um sechs Prozent schrumpfen, sagen die führenden deutschen Forschunsinstitute voraus. Auch die Bundesregierung senkt ihre Erwartungen deutlich.
Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr nach Einschätzung der führenden Forschungsinstitute um sechs Prozent schrumpfen. Eine entsprechende Frühjahrsprognose wollen die Spitzenforscher am (morgigen) Donnerstag in Berlin veröffentlichen. Das Institut der deutschen Wirtschaft rechnet allerdings damit, dass die Talsohle der Wirtschaftskrise noch in diesem Jahr erreicht wird.
Es gebe bereits einige positive Signale, sagte IW-Direktor Michael Hüther. Ein Beispiel seien die Auftragseingänge aus dem Ausland, die sich von September bis Januar im Sturzflug befunden hätten. «Von Januar auf Februar haben wir nahezu keinen Rückgang mehr», sagte Hüther. Auch aus einzelnen Branchen gebe es inzwischen Anzeichen, «dass sich der Boden ausbildet».
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen laut «Süddeutscher Zeitung» auch mit einem Verlust von mehr als einer Million Arbeitsplätzen in diesem Jahr. Die Arbeitslosigkeit werde im Herbst die Vier-Millionen-Marke überschreiten. Im Durchschnitt gehen die Forscher von 3,7 Millionen Arbeitslosen in diesem Jahr und knapp 4,7 Millionen 2010 aus. Für die öffentlichen Haushalten erwarten sie 2009 ein Defizit von 3,7 Prozent des prognostizierten Bruttoinlandsprodukts und im nächsten Jahr einen Fehlbetrag von 5,5 Prozent.
Guttenberg: Export ist schuld
Auch Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodeor zu Guttenberg (CSU) hat im Anschluss an den Konjunkturgipfel ein wesentlich schlechteres Ausfallen der bevorstehenden Konjunkturprognosen in Aussicht gestellt. Auch die Prognose der Bundesregierung am 29. April werde «erheblich schlechter» ausfallen als noch im Januar, sagte er in Berlin. Für einen erheblichen Teil der Entwicklung sei der Export verantwortlich. Bislang erwartet die Bundesregierung für das laufende Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2,25 Prozent.
Zugleich betonte Guttenberg die Notwendigkeit, dass die Bundesregierung im kommenden Jahr die Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik über die derzeit geschaffenen Instrumente hinaus erweitern müsse.
Nach Einschätzung des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück (SPD) ist die Abwärtsdynamik der deutschen Wirtschaft noch nicht gedämmt. Darin gebe es eine weitreichende Übereinstimmung, sagte er. Die Krise befinde sich primär im Bankensystem. Dort sei die Vertrauensbasis erschüttert. Die Geschäftsbanken hätten ihren Interbankenverkehr noch nicht wieder in Gang gebracht. Unternehmen hätten Schwierigkeiten, sich zu refinanzieren.
Steinbrück erklärte weiter, dass das Treffen von rund 40 Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), nur ein Meinungsaustausch gewesen sei. Es habe keine Beschlüsse gegeben. Der Gipfel, der in dieser Form bereits im Dezember 2008 stattgefunden hatte, werde, je nachdem wie sich die Lage entwickele, wiederholt.
IWF prognostiziert Minus von 5,6 Prozent
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet einen deutlich stärkeren Einbruch der deutschen Wirtschaft als bislang. Statt eines Rückgangs von 4,0 Prozent werde nun mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 5,6 Prozent in diesem Jahr gegenüber 2008 gerechnet, wie das Bundesfinanzministerium am Mittwoch in Berlin mitteilte. Für 2010 rechne der IWF nun mit einem Minus von 1,0 Prozent statt mit einer Stagnation.
Die weltweite Wirtschaft werde 2009 nach Einschätzung des IWF 2009 um 1,4 Prozent sinken, nachdem der Fonds bislang lediglich ein Minus von 0,8 Prozent erwartet hatte. 2010 werde die Wirtschaft mit einem Plus von 1,8 Prozent allerdings weniger stark anziehen als bislang erwartet (2,1 Prozent). Der IWF begründete die generelle Abwärtsrevision mit einem starken Wachstumsrückgang im vierten Quartal 2008, der sich negativ durch die Folgequartale fortsetze.
Die Bundesregierung, die derzeit für 2009 noch ein Minus von 2,25 Prozent erwartet, wird in der nächsten Woche ihre aktualisierte Prognose vorlegen und dabei ihre Zahlen höchstwahrscheinlich ebenfalls deutlich nach unten korrigieren. Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jörg Asmussen nannte die Zahlen des IWF am Mittwoch in Berlin «nicht unplausibel». Im Frühjahrsgutachten führender Wirtschaftsforschungsinstitute, das am Donnerstag in Berlin vorgelegt wird, wird Kreisen zufolge für Deutschland in diesem Jahr sogar ein BIP-Minus von 6,0 Prozent vorausgesagt.
Mittelstand pessimistisch
Der deutsche Mittelstand sieht die Geschäftsaussichten so schwarz wie noch nie zuvor. Nach der Frühjahrsumfrage der DZ Bank hat sich die Einschätzung der aktuellen Geschäftslage bei den mittelständischen Unternehmen in einer zuvor unbekannten Geschwindigkeit verschlechtert. Bei den Erwartungen für die nächsten sechs Monate überwögen erstmals die negativen Prognosen, erklärte die Genossenschaftsbank in Frankfurt am Main.
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Nach der jüngsten Erhebung betrachten nur noch 53 Prozent ihre aktuelle Geschäftslage als gut beziehungsweise sehr gut. 47 Prozent erklärten dagegen, ihre Geschäftslage sei schlecht oder eher schlecht. Im Herbst 2008 hatten noch 76 Prozent ihre Geschäftslage positiv eingeschätzt. «Eine solche extreme Veränderung der Geschäftslage haben wir im Rahmen der Mittelstandsumfrage noch nie registriert», erklärte Hans Jäckel, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft bei der DZ Bank. Vor allem kleine Betriebe bis 20 Beschäftigte sähen ihre Lage sehr pessimistisch.
E.ON-Chef Wulf Bernotat sieht in der Wirtschaftskrise Licht am Ende des Tunnels. Es gebe erste Indizien, dass im zweiten Quartal dieses Jahres die Talsohle erreicht sei und es schon zum Jahresende zu einem leichten Anstieg kommen könne, sagte er dem Politikmagazin «Cicero» (Maiausgabe). «Das dürfte zwar kein Riesenaufschwung werden, aber ganz so düster wie vor einem halben Jahr sieht die Welt auch nicht mehr aus», zitierte das Blatt den Manager. (ddp/ap)