Düsseldorf. DerWesten hat die letzte Runde der schwierigen Tarifverhandlungen in der Stahlbranche bis zum endgültigen Ende begleitet. Die Chronik einer langen Nacht.
Es ist 3.51 Uhr, als Heinz Jörg Fuhrmann um die Ecke lünkert. „Ist hier noch jemand?“, ruft der Vorstandschef des Stahlkonzerns Salzgitter in den Rückzugsraum der IG Metall hinein. Der einzig dort verbliebenen Dame raunt er zu: „Sagen Sie den Herren, wir würden jetzt den Saal stürmen.“ Fuhrmann hat keine Lust mehr. Erstens ist er müde und zweitens die Abwehrschlacht längst verloren. Die Gewerkschafter werden gleich rauskommen und ihren Sieg verkünden: Auszubildende müssen künftig in der Stahlindustrie unbefristet übernommen werden. Danach sah es zwölf Stunden zuvor nicht aus – Chronik einer Tarifnacht:
Montag, 15.51 Uhr: Die Kundgebung ist vorbei. Stahlkocher suchen ihre Busse vor dem Hilton. Hotelpersonal in Nadelstreifen kehrt Kippen und Plastikbecher auf. Oliver Burkhard, NRW-Chef der IG Metall, tauscht den Lärm der Bühne zu gerne mit der gedämpften Akustik der Sitzungssäle. Anzug, Brille und Gelfrisur sitzen – Zeit, sich den Arbeitgebern zu widmen.
Die sind jetzt schon bedient. Dieser Burkhard will mal wieder ein Exempel statuieren. Letztes Jahr gleiche Bezahlung für Leiharbeiter, diesmal unbefristete Übernahme der Azubis. Die Zeiten, in denen nach festen Ritualen um ein paar Zehntel gefeilscht wurde, sind vorbei. Burkhard (39) macht aus Lohnrunden politische Grundsatzdebatten. Wenn die Arbeitgeber über Fachkräftemangel klagen, sollen sie ihren Azubis eben was bieten. Zum Beispiel einen Job bis zur Rente, wie sie ihn von ihren Eltern noch kennen.
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17.01 Uhr: Die erste Zusammenkunft hätte vor einer Stunde beginnen sollen. Helmut Koch, Verhandlungsführer der Arbeitgeber, öffnet die Tür von Raum „Platon 2“ und bittet zum Vier-Augen-Gespräch. Steht ja auch draußen dran: „Für 2 bis 170 Personen“. Als er wieder rauskommt, geht die Gesichtsfarbe ins Karminrote, Burkhard sieht eher blass aus. Auf dem Flur raunt es, so früh sei die Stimmung noch nie so vergiftet gewesen. Koch reklamiert für die Arbeitgeber, sie würden seit vielen Jahren weit über Bedarf ausbilden. Dass die Gewerkschaft ausgerechnet hier noch nachhelfen will, „hat uns bis ins Mark getroffen“, sagt er. Die Floskel von den verhärteten Fronten krabbelt aus der Mottenkiste.
18.06 Uhr: Erstes Elefantentreffen. Fünf von jeder Seite betreten „Platon 2“, jeder durch seine eigene Tür. So in der Art stellt man sich zumindest optisch den Einmarsch der nord- und südkoreanischen Delegationen im Grenzdorf Panmunjon vor. Nur werden dort wahrscheinlich keine neckischen Witze gerissen über Namen wie den des Arcelor-Mittal-Betriebsrats Hering.
19.20 Uhr: Getrennte Runden. Koch lächelt, spricht mit der Journaille, bis Thyssen-Krupp-Arbeitsdirektor Ralph Labonte ihn greift: „Komm, Helmut“. Aus dem kategorischen Nein sind viele kleine Neins geworden. Azubis, die über Bedarf ausgebildet werden, sollen nicht unbefristet übernommen werden. Doch wie regelt man das? Und was ist mit den aktuellen Azubis? Sollen jene, die auf die Straße gegangen sind, alles nur für ihre Nachfolger erkämpft haben? „Das können wir nicht machen“, sagen Betriebsräte hinter verschlossenen Türen.
23.35 Uhr: Zweites Elefantentreffen, die Arbeitgeber sind schon drin. „Die können auch mal warten“, mault der heraneilende Burkhard. Keine zehn Minuten später stürmt er wortlos wieder raus. „Finster entschlossen“ beschreibt er sich gerne vor Journalisten. Jetzt sieht er auch so aus. Es hat gekracht in Panmunjon.
Ab jetzt bekommen die Türen Beine. Kleine Runde, große Runde, Boten überbringen Zettelchen, Raucher werden aus ihrer Pause gerissen.
Dienstag, 0.19 Uhr, heißt es, die Gespräche stünden „kurz vor dem Abbruch“, 0.38 Uhr geht Burkhard wieder rein, erstmals ohne Sakko.
1.48 Uhr: Salzgitter-Chef Fuhrmann wird es allmählich lang. Warum man nicht morgens beginnt? „Hab ich mich auch schon gefragt. Aber ich fürchte, dann wären wir jetzt auch nicht weiter.“ Es braucht den Druck der Nacht. Diesmal siegt die Müdigkeit um 2.38 Uhr. Die Übernahme steht. „Dafür lohnt es sich doch echt, so lange aufzubleiben“, sagt ein Metall-Sekretär. Den „gordischen Knoten“ bemüht ein Kollege, den seiner Krawatte hat er gleich mit gelöst.
2.46 Uhr: Jetzt geht’s ums Geld und plötzlich ganz schnell. Zahlen fliegen durch die Flure, werden abgelehnt, nachgebessert, angenommen. Um 4.08 Uhr geht Burkhard auf Koch zu und schüttelt ihm die Hand. Sieben Prozent hatte er gefordert, 3,8 Prozent für 16 Monate bekommt er.
Koch und Burkhard erklären der anwesenden Presse unnötigerweise, es sei ein zähes Ringen gewesen. „Geschafft“ fühlt sich Helmuth Koch (68), das gehe an die „Rentnersubstanz“. Der 30 Jahre jüngere Burkhard sieht auch nicht fitter aus. Die Personalchefs sind schon weg. Es reicht für dieses Mal.