Essen/Köln. Hedwig F. ist fast 85 Jahre alt. Sie telefoniert kaum, einen Computer besitzt sie nicht. Trotzdem hat der Kabelnetzbetreiber „Unitymedia” ihr jüngst eine Flatrate für Internet und Telefon angedreht. Die Seniorin wurde eiskalt erwischt.
Hedwig F. ist Witwe. „Alleinstehend”, sagt sie. „Seit 20 Jahren schon.” Verwandte und Freunde hat sie kaum noch. Nur einen Neffen gibt es. Aber der wohnt in der Nachbarstadt, hat immer was zu tun. „Ich habe nicht viele, mit denen ich rede.”
Vielleicht legt sie auch deshalb nicht sofort auf, als neulich unerwartet die junge Dame von Unitymedia bei ihr anruft. F. ist keine Kundin von Unitymedia. Ihr Kabelanschluss wird über die Mietnebenkosten abgerechnet. Deshalb ist dieser Anruf ein so genannter „Cold Call” - ein Telefonat, bei dem der Angerufene kalt erwischt wird.
Eigentlich sind solche Anrufe streng verboten. Doch das weiß F. nicht. Sie lässt sich in ein Gespräch verwickeln. „Die Stimme war so nett.” Was die Stimme sagt, ist allerdings alles andere als nett. Mit Fernsehen sei bald Schluss. „Wird abgestellt”, sagt sie. Dass nur der analoge Empfang eingestellt wird, sagt sie nicht. Und dass „bald” frühestens in ein paar Jahren ist, erwähnt sie auch nicht.
"Fernsehen ist alles was ich habe"
Deshalb ist F. entsetzt. „Fernsehen ist doch alles, was ich habe.” Zum Glück weiß die Anruferin Rat. Mit einem neuen Gerät sei der Empfang weiter gewährleistet. Und Telefon und Internet gebe es noch dazu. Rufnummernübernahme, neuen Empfänger anschließen: „Machen alles wir”. Und teuer sei die Sache auch nicht. „Kostet nur 25 Euro im Monat. Das ist nicht viel.”
Stimmt. Wenn man viel im weltweiten Datennetz unterwegs ist und oft telefoniert. Beides aber macht F. nicht. „Ich habe nicht mal einen Computer”, sagt sie der Anruferin. Es sind Worte ohne Wirkung. Tage später flattert F. Post ins Haus. „Willkommen bei Unitymedia.”
"Bedauerlicher Einzelfall"
Unitymedia-Sprecher Johannes Fuxjäger sagt, Senioren über den Tisch zu ziehen, „ist nicht Methode bei uns”. Sollte sich die Sache so zugetragen haben, „ist das ein bedauerlicher Einzelfall”.
Bedauerlicher Einzelfall? „Die Zahl der Beschwerden nimmt zu”,sagt dagegen eine Sprecherin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Vor allem von älteren Menschen.” Von Menschen, die sich nicht auskennen mit Begriffen wie „analog” und „digital” oder „TriplePlay” und „DSL”. Und die nur schwer wieder herauskommen aus dem Netz, das die Anrufer über sie geworfen haben.
Abgeschlossene Verträge sind gültig
Forum
Ärger mit Unitymedia - Haben Sie auch schlechte Erfahrungen gemacht?Diskutieren Sie mit anderen Nutzern im Forum.
„Denn obwohl Cold Calls verboten sind, führen sie zu gültigen Verträgen”, warnt Helga Zander-Hayat, Juristin der NRW-Verbraucherzentrale. Wer nicht rechtzeitig widerruft, muss zahlen. Ein Widerruf aber ist umständlich. Denn anders als eine Bestellung kann er nicht per Telefon erfolgen, sondern nur schriftlich.
„Per Brief oder Fax”, heißt es an der Unitymedia-Hotline. „Am besten als Einschreiben mit Rückantwort”, rät Zander-Hayat. „Das ist zwar teuer aber dann hat man etwas in der Hand, wenn es Probleme gibt.”
Hedwig F. musste ihren Neffen aktivieren. Weil der Weg zur Post für die gehbehinderte alte Dame zu schwierig ist und sie kein Fax besitzt. Zwei Tage vor Ablauf der Frist hat die Seniorin widerrufen.
Knapp eine Woche später steht ein Außendienstmitarbeiter von Unitymedia vor der Tür. „Geräteinstallation”, ruft er in die Gegensprechanlage. Und dass er nichts von einem Widerruf wisse. „Abstimmungsschwierigkeiten” innerhalb des Unternehmens nennt Unitymedia-Sprecher Fuxjäger das.
Dieses Mal aber lässt sich F. nicht überreden. Die Tür bleibt zu. „Noch einmal”, versichert sie, „kriegen die mich nicht.”