Essen. . Der Chefarzt einer katholischen Klinik behält seine Stelle, obwohl er zum zweiten Mal geheiratet hat. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Kündigung des Düsseldorfer St-Vinzenz-Krankenhaus für ungültig.

Zehn von zehn Punkten erhält der Chefarzt der Inneren häufiger von seinen Patienten. In den einschlägigen Ärztebenotungs-Portalen loben sie seinen „menschlichen Umgang“ mit den Kranken, seine ruhige Art und seine Behandlungserfolge. Der Professor ist offenbar beliebt bei seinen Patienten im Düsseldorfer St-Vinzenz-Krankenhaus. Nur bei seinem Arbeitgeber nicht. Die katholische Klinik hat ihm gekündigt, als er zum zweiten Mal geheiratet hat. Zu Unrecht, wie das Bundesarbeitsgericht nun entschieden hat.

Die weltlichen Gerichte habe so ihre Probleme mit der Arbeitgeberin Kirche. Nicht zum ersten Mal geriet ihr Umgang mit den Mitarbeitern in Konflikt mit irdischen Gesetzen. Es war die dritte schwere Niederlage für kirchliche Arbeitgeber in diesem Jahr. Das bürgerliche Recht wurde erneut über das – ebenfalls durchs Grundgesetz geschützte – Kirchenrecht gestellt.

Wegweisende Begründung

In diesem Fall erklärten die Richter die Kündigung des Chefarztes für unzulässig. Damit haben sie das von der Kirche nach eigenen moralischen Maßstäben gestaltete Arbeitsrecht in einem entscheidenden Punkt ausgehebelt. Kündigungen wegen Ehebruchs hatten zuletzt häufiger für Wirbel gesorgt. So hatte der Europäische Gerichtshof in Straßburg vor einem Jahr die Kündigung eines Essener Organisten kassiert. Die Erfurter Arbeitsrichter erklärten gestern, sie müssten abwägen zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und den Interessen des Arbeitnehmers. Diese Begründung könnte wegweisend auch für künftige Fälle sein (2 AZR 543/10).

Die Moralvorstellungen der katholischen Kirche und die modernen Bürgerrechte prallten frontal aufeinander. Der Arzt habe mit der Scheidung von seiner ersten Frau „gesündigt“, argumentierte der Anwalt der Klinik. Die Lösung einer Ehe sei nach katholischem Glauben nicht vorgesehen. Und der Arzt (49) habe sich im Arbeitsvertrag dazu verpflichtet, die katholische Sittenlehre zu befolgen.

Doch auch die Bundesrichter argumentierten moralisch. Sie wiesen darauf hin, dass der Arzt von seiner Frau verlassen wurde und nicht umgekehrt. Zudem habe die Klinik die eheähnliche Gemeinschaft mit seiner neuen Partnerin geduldet, obwohl auch sie der Sittenlehre widerspreche. Schließlich monierten die Richter, dass die Klinik ihre moralischen Ansprüche offenbar nicht durchweg anwende. So dulde sie nichtkatholische Mitarbeiter in zweiter Ehe.

Der Sonderweg ist auch unter Katholiken umstritten. Hätte die Kirche auf den Caritas-Präsidenten Peter Neher gehört, wäre ihr die gestrige Niederlage erspart geblieben. Neher forderte vor einem Jahr einen anderen Umgang mit Geschiedenen, „bevor uns Gerichte unsere Unbarmherzigkeit um die Ohren hauen.“

Die Mitarbeiterseite begrüßte das Urteil. „Wenn nach unseren Maßstäben selbst der Bundespräsident in sündigen Verhältnissen lebt, muss sich die Kirche fragen, wann sie sich endlich der Wirklichkeit stellen will“, sagte Thomas Schwendele, Bundessprecher der Caritas-Mitarbeiter.

Vorwurf Lohndumping

Erst im Januar waren die evangelische Diakonie und die katholische Caritas aufgeschreckt, als das Landesarbeitsgericht Hamm das Streikverbot in der Kirche infrage stellte. Es erlaubte Diakonie-Angestellten, für ihre Forderungen auf die Straße zu gehen. Über das Streikrecht muss noch in letzter Instanz entschieden werden. Verliert die Kirche wieder, ist ihr „dritter Weg“ gefährdet. Als solchen bezeichnet sie ihr auf Konsens ausgelegtes eigenes Arbeitsrecht. Es sieht vor, dass sich Beschäftigte und Arbeitgeber immer einigen müssen. Tun sie das nicht, gibt es eine Schlichtung. Arbeitskämpfe sind dabei nicht vorgesehen.

Doch das Kirchenrecht kollidiert nicht nur mit dem moralischen Wandel, sondern auch mit eigenen marktwirtschaftlichen Zwängen. So kam in diesem Sommer eine weitere Niederlage hinzu, die den für Moralwächter unschönen Vorwurf des Lohndumpings enthält. Das Landesarbeitsgericht Hamm musste die Caritas per Urteil dazu zwingen, ihre Minijobber besser zu bezahlen. Geklagt und Recht bekommen hatte die Nachtwache eines Altenheims, deren Stundenlohn um ein Viertel unter dem der Stammbelegschaft lag. Dieses Urteil ist rechtskräftig.