Essen. . RWE steht vor den wohl weitreichendsten Entscheidungen der jüngeren Geschichte. Die Nachfolge von Konzern-Chef Jürgen Großmann muss geregelt und eine plausible Strategie als Reaktion auf den Atomausstieg verabschiedet werden.

Der Essener RWE-Konzern steht vor den wohl weitreichendsten Entscheidungen der jüngeren Geschichte. In der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am Montag soll das Gremium nicht nur einen Nachfolger für Konzern-Chef Jürgen Großmann küren, sondern zugleich auch eine plausible Strategie als Reaktion auf den Atomausstieg verabschieden. Was keine Kleinigkeit ist: Dem Vernehmen nach soll eine Kapitalerhöhung beschlossen werden. Analysten erwarten die Ausgabe neuer Aktien im Volumen von drei bis fünf Milliarden Euro.

Derzeit aber hat Aufsichtsratschef Manfred Schneider noch anderes zu tun, vor allem viel zu telefonieren, um spätestens am Wochenende einen abgestimmten Vorschlag für die Konzernführung vorzulegen. Die Betonung liegt auf abgestimmt.

Angetan von Teriums Fähigkeiten

Schneider hat zusammen mit Aufsichtsratsmitglied Paul Achleitner einen Überraschungskandidaten aus dem Hut gezaubert: den 47-Jährigen Niederländer Peter Terium, derzeit Chef der Tochtergesellschaft Essent. Zuvor hatten sich die Überlegungen auf Rolf Martin Schmitz, im Vorstand zuständig fürs operative Geschäft, und den von Großmann geförderten Leonhard Birnbaum konzentriert. Schneider soll laut Aufsichtsratskreisen außerordentlich angetan sein von Teriums Fähigkeiten, insbesondere die Internationalität wird genannt, seine Managementfähigkeit, die er bei der Übernahme von Essent bewiesen habe.

Vor allem aber ist Schneiders Ziel, der Neuausrichtung des RWE-Konzerns in Sachen erneuerbare Energien mit einer entsprechenden Persönlichkeit Glaubwürdigkeit zu verleihen. Ein neues Gesicht also, ein Manager, der ohne negative Vorzeichen auch in der Landesregierung an den Start gehen kann. Einer, der anders als Großmann nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft steht.

Das kommunale Geschäft aus dem Effeff

Der Vollzug einer solchen Wende ist allerdings in einem Konzern, der wegen des großen Anteilsbesitzes der Kommunen von knapp 25 Prozent erheblichen politischen Einflüssen unterliegt, nicht ganz einfach. So sieht sich Schneider mit dem Wunsch der kommunalen Aktionäre konfrontiert, mit Rolf Martin Schmitz an der Spitze die industriepolitische Tradition zu wahren. Schmitz ist gut vernetzt in der Branche und kennt das kommunale Geschäft aus dem Effeff. Schließlich war er vor seiner Berufung in den RWE-Vorstand Chef der Kölner Rheinenergie.

Schneiders Aufgabe ist es nun, die Vertreter der Kapitalseite im Aufsichtsrat zu einen, darunter vier Vertreter der Kommunen. Nach Informationen dieser Zeitung beharren die Kommunen, darunter die Oberbürgermeisterin aus Mülheim, Dagmar Mühlenfeld (SPD), sowie der Dortmunder Stadtchef Ullrich Sierau (SPD) auch unter dem Einfluss der Landtags-SPD auf einer Berufung des 54-jährigen Schmitz zum Vize-Chef und mithin zum Kronprinzen.

Nebeneinander von Chef und Nachfolger?

Die Arbeitnehmerseite aus Vertretern der Gewerkschaften Verdi und IGBCE akzeptiert traditionell das Vorschlagsrecht der Kapitalseite – sofern die sich einig ist. „Ich bin davon überzeugt, dass Schneider einen abgestimmten Vorschlag vorlegen kann“, sagte ein Aufsichtsrat dieser Zeitung. Bleiben die Kommunen bockbeinig, schlägt die Stunde des Kompromisses: Der Aufsichtsrat könnte Schmitz zum Vize berufen und Terium zum Chef. Oder umgekehrt? Der Niederländer stünde für die Neuausrichtung, Schmitz für die Wurzeln und die kommunale Nähe.

In diesem Fall scheint ausgeschlossen, dass Großmann seinen bis September 2012 laufenden Vertrag erfüllt. Selbst bei der Berufung nur eines Vize-Chefs mit Aussicht auf den Chefsessel dürfte der Druck auf Großmann steigen, früher die Kommandobrücke zu verlassen. Ein Nebeneinander von Chef und Nachfolger hat noch nie gut funktioniert: Bei Eon lähmte die Konstellation an der Spitze – Johannes Teyssen als Vize und Wulf Bernotat als Chef – die Entwicklung des Unternehmens. Und Harry Roels musste vier Monate eher als geplant den RWE-Chefposten räumen, nachdem Großmann als Nachfolger gekürt war. Ein Aufsichtsrat: „Dem Unternehmen täte es gut, wenn in den nächsten sechs Monaten alles geregelt wird. Alle Beteiligten müssen ihren Beitrag leisten.“