Die Sicherheitsabteilung der Telekom soll 2005 und 2006 im großen Stil Manager und Aufsichtsräte des Konzerns sowie Journalisten bespitzelt haben. Kanzlerin Merkel ist informiert, die Staatsanwaltschaft ermittelt
Essen. Als Harald Steininger am Mittag des 7. Februar 2006 an das Rednerpult im Hotel Radisson in Frankfurt trat, war die Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom schon in vollem Gang. Der ehemalige Kriminalbeamte, damals Leiter des Bereichs Konzernsicherheit bei dem Bonner Unternehmen, referierte vor einem interessierten Publikum 40 Minuten lang über die innere Sicherheit im Konzern, über Strategien, Vorbeugung und Bekämpfung.
Beim Blick zurück stellt sich heraus, es war weit mehr als fein formulierte Theorie eines Mannes, der zuvor schon für Sicherheit bei der Deutschen Bank und bei SAP gesorgt hatte. Bei der Telekom könnte Steininger für einen Spionage-Skandal extremen Ausmaßes verantwortlich sein. Seine mehrere hundert Mitarbeiter starke Abteilung Konzernsicherheit soll laut Spiegel in den Jahren 2005 und 2006 die Top-Manager im eigenen Haus bespitzelt haben. Auch Aufsichtsräte und Journalisten sollen ausspioniert worden sein.
Wer hat mit wem telefoniert, wie lange wurde gesprochen, welche Informationen wurden weitergegeben? Diese und andere Fragen zogen IT-Experten einer beauftragten Berliner Spezialfirma offenbar aus mehreren 100 000 Datensätzen heraus. Die Ausspäh-Operation lief unter verschiedenen Codenamen wie "Clipper" oder "Rheingold". Gerade für ein Telekommunikationsunternehmen sind es hochsensible Daten. Über dessen Leitungen kommunizieren Privatpersonen weltweit, bahnen Manager streng geheime Geschäfte an, verabreden Politiker Gesetze.
Telekom-Chef Rene? Obermann ist sich dieser Tragweite anscheinend bewusst. Am 14. Mai bereits hatte die Telekom Anzeige erstattet und eine Kölner Anwaltskanzlei eingeschaltet. Obermann informierte außerdem Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück. Am Samstag trat er an die Öffentlichkeit, bestätigte Erkenntnisse über Datenmissbrauch. Der bereits eingeschalteten Staatsanwaltschaft versprach er uneingeschränkte Zusammenarbeit.
In der Zeit, als der Datenmissbrauch in vollem Gang war, zeichnete Obermann verantwortlich für die Handy-Sparte der Telekom. Konzernchef war damals Kai-Uwe Ricke, Aufsichtsratsvorsitzender war Klaus Zumwinkel. Ob sie etwas von den Bespitzelungen wussten, dafür dürfte sich die Staatsanwaltschaft auch interessieren.
In den Fokus der Ermittlungen könnte aber vor allem der frühere Telekom-Personalvorstand Heinz Klinkhammer rücken. In seinem Ressort war die Konzernsicherheit einst angesiedelt. Ein ungewöhnlicher Ressortzuschnitt, der vor dem Hintergrund der jetzt aufgedeckten Spionage-Attacken gar nicht mehr so ungewöhnlich erscheint. Ziel zahlreicher Abhör-Aktionen sollen vor allem auch Arbeitnehmervetreter im Aufsichtsrat gewesen sein. Sie galten als Informationsleck. Offenbar befürchteten die Auftraggeber der Bespitzelungen, dass jene Mitglieder aus dem Kontrollgremium geheime Details von bevorstehenden Stellenstreichungen an Journalisten weitergeben könnten.
Schon vor Monaten soll Obermann über die ungewöhnlichen Methoden seiner Sicherheitsexperten um Harald Steininger informiert gewesen sein. Damals aber handelte es sich zunächst nur um Hinweise über die Bespitzelung eines einzelnen Aufsichtsrates. Der Telekom-Chef setzte Steininger und weitere Beschäftigte der Abteilung daraufhin vor die Tür. Obermann hatte die Konzernsicherheit schon bei seinem Amtsantritt im November 2006 zur Chefsache gemacht. Richtlinien wurden verschärft, weil er angeblich ein ungutes Gefühl gehabt habe, wie ein Unternehmenssprecher erklärte. Nach dem Rauswurf Steiningers strukturierte er die Abteilung nochmals um. Vor diesem Hintergrund erscheint der Vortrag Steiningers im April 2006 in einem ganz anderen Licht. Schließlich lautete eine seiner zentralen Aussagen damals: "Korruptionsprävention beginnt an der Unternehmensspitze." KommentarFoto: ddp