Essen. Der Essener Energiekonzern RWE und der russische Gas-Gigant „verloben“ sich. Beide Unternehmen haben eine Absichtserklärung unterzeichnet, um über eine strategische Partnerschaft bei Betrieb und Neubau von Gaskraftwerken zu verhandeln.

Mit der Geheimhaltung ist das so eine Sache. Beim Essener Energiekonzern RWE hatte man sich in den vergangenen Tagen tapfer an die Sprachregelung geklammert, dass sich die Gespräche, die man mit dem russischen Gas-Giganten Gazprom führe, nur um die Lieferverträge drehten. Dumm nur, dass Gazprom selbst auf seiner Internetseite unter dem Datum 8. Juli ein Foto veröffentlicht hatte, das RWE-Boss Jürgen Großmann und Strategiechef Leonhard Birnbaum im Gespräch mit der Gazprom-Spitze Alexej Miller zeigt. Der englische Text zur Szenerie in einem schmucklosen Büroraum, mutmaßlich ein Hinterzimmer in einem der Pariser Flughäfen, lautet übersetzt: „Gazprom und RWE diskutieren Kooperations-Aussichten.“

Seit gestern ist klar, worüber noch geredet wurde. Großmann und Miller unterzeichneten eine Absichtserklärung. Inhalt: RWE kann drei Monate lang exklusiv mit Gazprom verhandeln, ob und wie beide Unternehmen existierende, aber auch künftig zu bauende Steinkohle- und Gaskraftwerke in Deutschland, Großbritannien und den Beneluxstaaten in ein Gemeinschaftsunternehmen einbringen können.

Noch handelt es sich nur um eine Absichtserklärung, doch eine Absicht wird damit immer konkreter: Gazprom will sich aus der beschränkten Rolle des Gas-Lieferanten befreien und am deutschen Strom- und Gasgeschäft teilhaben. Vielleicht sogar bis hin zum Endkunden. Miller hatte in den vergangenen Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, um seine Ambitionen mitzuteilen. Und auch die Absichtserklärung mit RWE kommentiert er mit den Worten: „Angesichts der jüngsten Entscheidung der deutschen Regierung zum Ausstieg aus der Kernenergie sehen wir gute Chancen für den Bau neuer moderner Gaskraftwerke in Deutschland.“ Für Großmann kann die Absichtserklärung „für beide Seiten zu erfolgreichen Wachstumsoptionen führen“.

Gazprom könnte seine Gaskraftwerke selbst zu Sonderkonditionen beliefern

Der Einstieg in die deutsche Stromerzeugung macht aus Sicht von Stephan Wulf, Analyst beim Hamburger Bankhaus Warburg, für Gazprom sehr viel Sinn. „Dadurch stellt sich das Unternehmen sowohl regional als auch unternehmerisch wesentlich besser auf. Allerdings: Auch Gazprom benötigt ein berechenbares politisches Umfeld für Investitionen, gerade in Gaskraftwerke. Das war zuletzt in Deutschland nicht der Fall.“

Auf den ersten Blick könnte Gazprom sich mit dem Bau von Gaskraftwerken quasi zu Sonderkonditionen selbst beliefern und den Strom auch selbst verkaufen. Doch es bleibt ein Rechenexempel, ob die simple Lieferung von Gas nicht profitabler ist als der Betrieb von Gaskraftwerken. RWE-Technology-Chef Matthias Hartung hatte noch in dieser Woche unterstrichen, dass sich neue Gaskraftwerke zurzeit nicht rechnen. Eine Kooperation mit Gazprom könnte dies ändern.

Was sich durch die Absichtserklärung ebenfalls ändern könnte: Gazprom könnte sich bei den Verhandlungen um die Gaslieferverträge mit RWE flexibler zeigen. Zurzeit muss RWE das Gas beim russischen Lieferanten teuer einkaufen, aber billiger weitergeben, weil der Gaspreis gesunken ist. Bislang hatte sich Gazprom in den Gesprächen ausgesprochen hartleibig gezeigt.

Verkauf von Amprion bringt RWE rund 700 Millionen Euro

Eine Partnerschaft könnte die missliche Lage von RWE lindern. Nach dem erzwungenen Atomausstieg schwinden die Gewinne, gleichzeitig benötigt der Konzern Geld für ein Investitionsprogramm, das bis 2014 rund zwölf Milliarden Euro verschlingen wird. Außerdem plagen RWE Schulden von etwa 27 Milliarden Euro, deshalb sollen Konzernteile im Wert von acht Milliarden Euro abgestoßen werden.

Der Verkauf der Dortmunder Netztochter Amprion ist ein Teil dieses Programms. RWE teilte gestern offiziell mit, dass der Konzern 74,9 Prozent an ein Konsortium überwiegend deutscher institutioneller Investoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken unter der Führung der Commerzbank-Tochter Commerz Real verkauft hat. Der Kaufpreis liegt laut Commerzbank bei etwa 700 Millionen Euro. Mit seinem 25,1-Prozent-Anteil führt RWE weiter den Betrieb. Amprion hat mit 11 000 Kilometern das längste Höchstspannungsnetz in Deutschland und versorgt 27 Millionen Menschen.

Kartellamtspräsident sieht die mögliche Partnerschaft kritisch

Ungeachtet einer möglichen Zusammenarbeit mit Gazprom will RWE die Pläne zum Bau der Nabucco-Gaspipeline weiter vorantreiben. „Wir halten an den Plänen zum Bau der Nabucco-Gaspipeline fest“, sagte eine RWE-Sprecherin. Den Russen ist das Projekt ein Dorn im Auge. Durch die Gaspipeline, deren Bau noch nicht gesichert ist, soll ab 2017 kaspisches Gas nach Europa strömen.

Damit die Partnerschaft zwischen RWE und Gazprom überhaupt zustande kommt, muss auch das Bundeskartellamt seinen Segen geben. Doch dort ist man skeptisch. Kartellamtspräsident Andreas Mundt erklärte auf Anfrage: „Eine Verbindung zwischen Gazprom und RWE müsste man sich unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten sehr genau ansehen.“ Hintergrund: Mit Wingas, einem Gemeinschaftsunternehmen mit BASF, ist Gazprom bereits als Händler auf dem deutschen Markt aktiv.