Berlin. . Auf die Zeitarbeitsfirmen kommt eine riesige Nachzahlung an Sozialbeiträgen zu. Grund ist die Nichtigkeit ihrer bisherigen Tarifverträge und die damit zu geringen Löhne. Leiharbeitern steht dagegen unter Umständen mehr Arbeitslosengeld zu.
Die Übernahme unwirksamer Tarifverträge kommt die betroffenen Leiharbeitsunternehmen teuer zu stehen. Die Sozialkassen fordern jetzt entgangene Sozialversicherungsbeiträge ein. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) teilte am Freitag mit, dass das Arbeitslosengeld von Zeitarbeitnehmern möglicherweise höher ausfallen könne.
Hintergrund ist der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 2010, nach dem die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) nicht tariffähig ist und daher keine Tarifverträge abschließen konnte. Nach Schätzungen von Experten könnten sich die Forderungen der Sozialkassen auf zwei bis drei Milliarden Euro summieren. Die Unternehmen sollen bis 31. Mai zahlen.
Betriebsprüfungen ab Juli
Wie die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung in Berlin erklärten, ergibt sich die Forderung aus der nun vorliegenden schriftlichen Begründung des BAG-Urteils. Aufgrund der Unwirksamkeit der Tarifverträge müssen die betroffenen Leiharbeitnehmer genauso bezahlt werden wie die Stammbelegschaft des Betriebs, in dem sie eingesetzt werden. Diese „Equal pay“-Ansprüche seien Bemessungsgrundlage für die zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge.
Leiharbeitgeber, die die unwirksamen CGZP-Tarifverträge angewendet haben oder noch anwenden, sind den Sozialkassen zufolge gesetzlich verpflichtet, Beiträge nachzuzahlen und Entgeltmeldungen und Lohnnachweise entsprechend zu korrigieren. Dies betreffe alle Beschäftigungszeiten seit Dezember 2005. Zahlen die betroffenen Leiharbeitgeber nicht, haften auch deren Kunden. Zur Kontrolle sollen ab Juli Betriebsprüfungen stattfinden.
Für komplizierte Fälle stellen die Kassen Vereinfachungslösungen in Aussicht. Unternehmen in ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten können die Stundung der Beiträge beantragen.
Leiharbeiter sollen rückwirkend Lohnnachzahlungen einfordern
Die BA erklärte in Nürnberg, Zeitarbeitnehmer könnten bei der zuständigen Arbeitsagentur formlos rückwirkend höhere Leistungsansprüche geltend machen, wenn auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag der CGZP angewendet wurde und die Arbeitnehmer im Anschluss an diese Beschäftigung Arbeitslosengeld bezogen haben. Weitere Voraussetzung sei, dass sie infolge der Gerichtsentscheidung einen höheren Anspruch auf Arbeitsentgelt haben und der Differenzbetrag vom Arbeitgeber nachgezahlt wurde.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte nach der Veröffentlichung der BAG-Entscheidung die betroffenen Leiharbeiter aufgefordert, rückwirkend Lohnnachzahlungen einzufordern. Entsprechende Merkblätter und Musteranträge stellt der DGB auf seiner Homepage bereit.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hatte Anfang des Monats erklärt, dass die betroffenen Zeitarbeitsunternehmen Schulden bei der Solidargemeinschaft begleichen müssten. „Hier gibt es für niemanden eine Carte blanche“, fügte die CDU-Politikerin hinzu.
Das Bundesarbeitsgericht hatte seinen Beschluss damit begründet, dass der CGZP aufgrund einer zu geringen Zahl an Mitgliedern die erforderliche Tarifmächtigkeit fehle. Mit dem Urteil hatte ein gemeinsamer Antrag der Gewerkschaft ver.di und der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Gefälligkeitstarifverträge auch in der Leiharbeitsbranche zu unterbinden, in der höchsten Instanz Erfolg.
Schätzungen zufolge sind in der Bundesrepublik inzwischen fast eine Million Leiharbeitnehmer beschäftigt. Mindestens 200.000 davon sind in der Vergangenheit nach Tarifverträgen der CGZP entlohnt worden. (dapd)