Essen. . Nach dem Rechtsstreit mit der Textilkette Kik wirft die Gewerkschaft Verdi nun dem Lebensmittel-Discounter Netto sittenwidrige Stundenlöhne vor. Und den Jobcentern, dass sie „Arbeitslose zwingen, solche Stellen anzunehmen“.

Nach dem Rechtsstreit mit der Textilkette Kik wirft die Gewerkschaft Verdi nun dem Lebensmittel-Discounter Netto sittenwidrige Stundenlöhne vor. Und den Jobcentern, dass sie „Arbeitslose zwingen, solche Stellen anzunehmen“, so Liselotte Hinz, Verdi-Landeschefin für den Handel, zur WAZ.

Seit Netto 2009 die Plus-Filialen übernommen hat, sehen die Kunden dort viele neue Mitarbeiter. Es sind häufig Minijobber, die laut Verdi weit unter dem Tarif bezahlt werden, den Verdi mit Netto im Mai 2010 abgeschlossen hat.

Ein Arbeitsvertrag der Netto-Niederlassung Bottrop, der dieser Zeitung vorliegt, weist einen Stundenlohn von 5,50 Euro aus, zuzüglich einem Euro an Zulagen, mit denen alle weiteren Ansprüche, etwa auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, abgegolten sind.

Macht also 6,50 Euro – doch Verdi lässt nur die 5,50 Euro gelten, weil die Zulagen auch bei den tariflich Beschäftigten gesondert und nicht auf den Grundlohn gerechnet würden.

Im vorliegenden Fall, laut Verdi nur einer von vielen, sei der Hartz-IV-Empfänger vom Jobcenter unter Androhung von Sanktionen aufgefordert worden, einen 325-Euro-Job bei Netto anzunehmen. Dafür müsse er 50 Stunden im Mo­nat arbeiten. Dass er arbeitslos ist, geht aus dem Vertrag mit der Netto AG Bottrop hervor, die für das nördliche Ruhrgebiet zuständig ist.

Verdi wirft der Edeka-Tochter Netto vor, damit den Tarif gezielt zu unterlaufen. „Weil die von Plus übernommenen Mitarbeiter ein Recht auf Tariflohn hatten, wurden bei ihnen die Arbeitszeiten reduziert und die Lücken mit Minijobbern gefüllt“, sagt Folkert Küpers, Discount-Experte bei Verdi NRW. Mittlerweile seien von den bundesweit 72 000 Netto-Mitarbeitern 30 000 ge­ringfügig beschäftigt.

Netto kommentierte diese Zahlen nicht, teilte aber schriftlich mit, „die Löhne des größten Teils unserer Mitarbeiter“ würden „auf bzw. über Tarifniveau“ liegen. Auch geringfügig Beschäftigte er­hielten teils „über 10 Euro die Stunde“. Seit Abschluss der Plus-Integration Mitte 2010 sei das Ziel, „den Anteil an Teil- und Vollzeitbeschäftigten zu erhöhen“.

Die verdienen laut NRW-Tarifvertrag in der untersten Lohnstufe 8,98 Euro die Stunde. Arbeitsrechtlich müssten auch Minijobber mindestens diesen Stundenlohn erhalten, sagt Küpers. So seien Minijobber wie Teilzeitbeschäftigte nach Tarif zu bezahlen.

Eine andere Frage ist die nach der Sittenwidrigkeit. Vor zwei Jahren wurde Kik vom Landesarbeitsgericht Hamm bescheinigt, mit 5,20 Euro einen sittenwidrigen Lohn gezahlt zu haben. Kik musste zwei Mitarbeiterinnen Löhne und den Sozialkassen Beiträge rückwirkend bis 2004 nachzahlen. Mittlerweile hat Kik sich selbst einen Mindestlohn von 7,50 Euro gesetzt.

Für die Jobcenter gelten Löhne als sittenwidrig, wenn sie 30 Prozent oder mehr unter Tarif liegen. Bei Netto ist das nicht eindeutig. Geht man wie Netto von 6,50 Euro aus, wird diese Grenze gerade noch eingehalten. Der Grundlohn von 5,50 Euro liegt dagegen fast 40 Prozent unter dem niedrigsten Tarif. „Die Arbeitsagentur vermittelt in Stellen mit sittenwidrigen Löhnen – bis ein Sozialgericht dies stoppt“, sagt Küpers mit Blick auf Kik.

Die Landesarbeitsagentur widerspricht. Die Sachbear­beiter der Jobcenter würden in jedem Einzelfall prüfen, ob der Lohn einer angebotenen Stelle sittenwidrig sei, sagt Sprecher Werner Marquis. Dass Langzeitarbeitslosen mit der Kürzung ihrer Bezüge gedroht werden kann, falls sie einen Job nicht annehmen, sei vom Gesetzgeber so gewollt. Sie müssten jeden zumutbaren Job annehmen.

Nebenbei verschwinden Minijobber aber auch aus der offiziellen Arbeitslosen-Statistik, was Verdi für das eigentliche Motiv der Jobcenter hält. Geld spart der Staat jedenfalls nicht. In besagtem Fall erhält der Arbeitslose weiter die vollen Hartz-IV-Sätze. Von den 325 Euro darf er laut Zuverdienstregeln 144 Euro behalten. Das ist weniger als in den meisten Ein-Euro-Jobs, die mangels Erfolg derzeit massiv zurückgefahren werden.