Essen. Einer der bekannten Steuerfahnder der Republik, Reinhard Kilmer, erklärt, warum der Einsatz von Finanzbeamten durchaus politisch gesteuert ist. Im Süden der Republik gilt deren Fehlen auch als Standortvorteil.

Reinhard Kilmer war einer der bekannten Steuerfahnder der Republik. Der Bochumer Finanzbeamte klärte mit seinen Kollegen und der Staatsanwältin Margret Lichtinghagen im Jahr 2000 die erste Liechtenstein-Steueraffäre um den Finanzberater Batliner auf. Sie enttarnten prominente Kapitalflüchtlinge wie Schockemöhle und Flick, erreichten Nachzahlungen in Höhe von 100 Millionen Euro. Jetzt hat er nach 23 Jahren den Dienst quittiert.

Er zieht eine überraschende Bilanz. Kilmer sieht eine Trendwende bei der Steuerflucht. „Dass wir eine CD mit Kontodaten erhalten haben, war für den Staat wie ein Sechser im Lotto“ - mit nachhaltigen Folgen: „Die Konten im Ausland wurden aufgelöst“. Deutsches Kapital steuere auch keineswegs stärker weiter entfernt liegende Steueroasen wie Singapur an: „Die deutschen Anleger lieben Sicherheit. Das Geld wird künftig mehr in Deutschland bleiben, da das Schweizer Bankgeheimnis löchrig geworden ist“.

Eine CD, fünf Jahre auf Achse

Der 61-jährige Dortmunder weiß, was ersagt. Als vor zehn Jahren die erste aus dem alpinen Fürstentum anonym zugespielte CD mit den Daten der Steuerflüchtlinge im Briefkasten der Staatsanwaltschaft Bochum gefunden wurde, begann für den Experten und seinen Kolleginnen und Kollegen ein langer Lernprozess mit intensiven Einblicken ins Dasein der Steuerflüchtenden. „Von Kiel bis Garmisch“ sei er fünf Jahre mit Lichtinghagen auf Achse gewesen. Haftbefehle und Durchsuchungsbeschlüsse haben sie dabei gehabt, Angst und Kooperationsbereitschaft der Ertappten gespürt. Sie haben auch versucht, einen Staatsanwalt in München davon zu überzeugen, Ermittlungen aufzunehmen – leider ohne Erfolg. „Aber dann haben wir das Verfahren eben in Bochum zu Ende geführt“.

Der Erfolg nach Abschluss des Batliner-Komplexes mit seinen über 200 Einzelfällen kann sich sehen lassen. 100 Millionen Euro flossen an den Staat zurück – 60 Millionen Steuern, 20 Millionen Zinsen und 20 Millionen Strafgelder. Es war das Vorspiel zur Zumwinkel-Affäre gegen Ende des Jahrzehnts, als nach dem Ankauf weiterer CD ROM’s durch den Staat aus Hehlerhand (Kilmer: „Moralisch zu hinterfragen, aber rechtlich einwandfrei“) durch die Bochumer Ermittler 596 Strafverfahren eingeleitet wurden und bisher 626 Millionen Euro kassiert werden konnten. Wertvoller noch: Die Zusammenarbeit zwischen Steuerfahndern und Staatsanwälten habe sich nach ersten Berührungsängsten bei den Strafverfolgern deutlich verbessert. Sie gestalte sich heute, vor allem in Bochum aber auch anderswo, „sehr eng“.

Die große Hinterziehung findet im Inland statt

Steuerflucht ins Ausland und Steuerhinterziehung sind zwei verschiedene Dinge. „Die große Steuerhinterziehung findet im Inland statt“, sagt der Fahnder, „bei der Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer“. 30 Milliarden Euro jährlich könnten es sein, sagt Kilmer, „eine Schätzung“. Hier ist die Trendwende eben noch nicht da.

Alles wird komplizierter, zumindest kleiner. Holten die Fahnder bisher Stapel Papier ab bei den zeitgleichen Durchsuchungen von Betrieb, Wohnungen und Bank, gucken sie heute nach USB-Sticks, auf denen die verräterischen Daten gespeichert sein können. Kilmer: „Die gibt es in allen möglichen Formaten. Als Korkenzieher, Autoschlüssel, auch als Modellautos“. In Bochum sind inzwischen von über 100 Fahndern sechs für die elektronische Datensicherung und zwei für die Internetfahndung spezialisiert worden.

Es braucht aber immer noch den Menschen, um den ersten Verdacht schöpfen zu können. Zum Beispiel die verlassene Ehefrau, die weiß, was ihr Mann beiseite geschafft hat, oder die abgelegte Geliebte, die gegebenenfalls die Nummer vom Schweizer Nummernkonto kennt. „Beziehungskrisen helfen uns oft“, sagt Kilmer, durchaus auch anonyme Tipps. Doch hier wird der Fahnder vorsichtig. „Nur ein belastbarer Anfangsverdacht zählt. Wir lassen uns nicht vor einen Karren spannen“. Die meisten Fälle von Hinterziehung fallen allerdings nach wie vor bei Betriebsprüfungen auf. In Fiskus-Kreisen heißt es dazu, es sei immer noch ein ein Hindernis, dass Betriebsprüfer ihren Besuch anmelden müssen. Es räumt dem Unternehmer oder dem Selbstständigen Zeit ein, Dokumente verschwinden zu lassen.

Hindernisse bauen aber auch Politiker auf. Nicht nur, dass mindestens 3000 Betriebsprüfer und bundesweit auch 500 Steuerfahnder fehlen. Nicht nur, dass in der deutschen Finanzverwaltung unterschiedliche EDV-Systeme im Einsatz sind, die einen Austausch der relevanten Daten erschweren. Der Einsatz von Fahndern wird auch politisch gesteuert, glaubt Reinhard Kilmer. Dass neben dem Saarland ausgerechnet Bayern und Baden-Württemberg die wenigsten Fahnder im Einsatz haben, das falle auf, sagt er. „Das ist eine Art Standortpolitik. Firmen werden angelockt, weil sie sicher sein können, dass ihre Bücher seltener kontrolliert werden und das Interesse am Ausschöpfen eigener Steuerquellen geringer ist“.

Letztlich ist das ein bitteres Resumee: „Wer in Deutschland Probleme mit dem Finanzamt hat, der muss nur in ein anderes Bundesland umziehen. Dann ist er weg vom Radar“.