Dortmund. Mitten in Dortmund forschen Biologen an Pilzen, die einmal Styropor ersetzen könnten. Warum das Projekt weniger eklig ist, als es klingt.

Sie sehen aus wie Camembert. Verschieden große, weiße Brocken liegen auf dem dunkelbraunen Tisch des kleinen Labors. Ihre Oberfläche fühlt sich sanft und flauschig an. Wie Camembert eben. Anders als der französische Weichkäse sind die Brocken aber geruchslos, sehr leicht und gleichzeitig steinhart. Schließlich ist der Doppelgänger auch nicht dafür bestimmt, später auf einem Brötchen zu landen, sondern als Isoliermaterial in Häusern.

Was da als Prototyp auf dem Tisch liegt, ist ein Pilzwerkstoff, der in Zukunft eine große Rolle dabei spielen könnte, die Baubranche nachhaltiger zu gestalten. Denn das leichte, robuste und isolierende Material ist biologisch abbaubar und könnte problemlos auf dem eigenen Komposthaufen im Garten entsorgt werden. Außerdem lässt es sich beliebig formen und ist kaum entflammbar. Perspektivisch könnte es den Stoff als Plattenware im Baumarkt geben. Also ähnlich zum Styropor, nur eben vollständig recycelbar.

„Pilz wirkt als Kleber“: So entsteht in einem Dortmunder Labor der nachhaltige Pilzwerkstoff

Noch gibt es den Pilzwerkstoff aber nur in kleinen Mengen aus dem Labor. In Dortmund experimentiert die Biologin Lina Vieres seit fast zehn Jahren an dem Material. In einem unscheinbaren Hinterhof an der Richardstraße steht ihre kleine Forschungs-Werkstatt, in der sie zusammen mit dem Biologie-Studenten Jasper Albin arbeitet. In glänzenden Stahlschränken trocknen bereits diverse Prototypen. Das Labor gehört zur Produktentwicklung des in Oberhausen ansässigen Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT).

Forschen mit Pilzfasern.
Die Biologin Lina Vieres forscht seit Jahren zum Einsatz von Pilzen für den Umweltschutz. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Vieres zeigt auf große Säcke unter dem großen Tisch, auf dem sie die Camembert-Doppelgänger ausgestellt hat. Dort lagert sie das sogenannte Substrat, die Grundlage des Werkstoffes. Das Substrat besteht aus rein pflanzlichen und bereits recycelten Reststoffen. Um daraus ein festes Material herzustellen, werde ein speziell gezüchteter Pilz „eingeimpft“, erklärt Vieres. Die Pilzfasern, genauer gesagt das Myzel, durchwachsen das Substrat und halten es zusammen. „Der Pilz wirkt als Kleber“, vergleicht die Biologin. Ist die gewünschte Stabilität erreicht, wird der Werkstoff erhitzt, um ihn zu trocknen und den Pilz abzutöten.

Auch interessant

Die Form der Styropor-Alternative kann vor oder nach dem Trocknungsprozess verändert werden. Je nach Substrat-Mischung weist das Endprodukt andere Eigenschaften auf. „Die Anwendungsmöglichkeiten sind breit gefächert“, sagt Vieres. „Wir stecken noch in den Kinderschuhen und sehen noch viel Forschungsmöglichkeit.“

Industrie könnte schon bald auf nachhaltige Alternativen setzen

Dabei ist die Nutzung von Pilzfasern nicht völlig neu. Bereits 2022 vermeldete das Fraunhofer-Institut UMSICHT Forschungserfolge zum Einsatz von Pilzwerkstoffen als Schallschutz (Fungi Facturing). In der Kunst- und Designszene sind die Pilze ebenfalls bekannt. Vieres wurde ebenfalls durch eine Designerin auf die Technik aufmerksam und schrieb später ihre Bachelorarbeit im Labor der Dezentralen über die Pilzwerkstoffe. „Pilze sind super cool“, sagt sie und lacht. Sie erkannte in der Forschung eine Chance für den Umweltschutz. „Wir schaffen Alternativen für Konsumgüter, die es bereits gibt“, sagt Vieres. Sie könne hier wirklich etwas verändern. „Das ist für mich ganz wichtig.“

„Wir stecken noch in den Kinderschuhen und sehen noch viel Forschungsmöglichkeit.“

Lina Vieres
Biologin

Die Biologin sieht im Pilzwerkstoff viel Potenzial. „Die Druck auf die Industrie wird höher“, sagt sie, denn dort müssten Nachhaltigkeitsziele eingehalten werden. Das betrifft auch die Baubranche. Vieres möchte deswegen das organische Material „in den Kreislauf bringen“, um „Bauen nachhaltig zu gestalten“. Demnächst ruft sogar die ganz große Bühne: Bei der Weltausstellung in Osaka in diesem Jahr stellt das Fraunhofer-Institut das Projekt digital vor.

Von wegen eklig: Biologin will Menschen vom organischen Material überzeugen

Noch ist die Herstellung aber nicht effizient. Der Prozess könne nur mithilfe der Industrie automatisiert werden, meint Vieres. „Aber es ist schwierig, Innovationen auf den Markt zu bringen.“ Das Fraunhofer-Institut UMSICHT baue daher Verbindungen zwischen der Grundlagenforschung und der Wirtschaft auf. Und nicht nur hier seien Pilzwerkstoffe bereits ein Thema, geforscht werde vielerorts. Ein in dieser Technologie führendes US-amerikanisches Unternehmen halte derzeit aber einige Patente und Lizenzen zurück, sodass der Werkstoff noch eher unbekannt ist. Vieres erhofft sich einen zeitnahen Pilz-Boom, ähnlich zum Hanfdämmstoff vor einigen Jahren: „Vieles wird sich zeigen, wenn die Patente bald auslaufen.“

Forschen mit Pilzfasern.
Die Pilzwerkstoffe unterscheiden sich in ihren Eigenschaften kaum von derzeit gebräuchlichen Dämmungs-Materialen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Um den Pilzwerkstoff zu etablieren, stellte Vieres das Material in Workshops der Öffentlichkeit vor. Denn schließlich sind es die Bürgerinnen und Bürger, die sich das neuartige und Camembert-ähnliche Dämmungsmaterial in die Wände einbauen lassen sollen. „Wir müssen die Kundschaft mitnehmen, um das Produkt auf den Markt zu bringen. Manche finden es voll spannend, andere aber eklig, weil es organisch aussieht.“ Deswegen sei Aufklärung über den nachhaltigen Pilzwerkstoff wichtig, damit sich die Menschen nicht von dem Material abschrecken lassen.