München. „Das geht so nicht“, urteilt ADAC-Präsident Reinicke über Tank & Rast. Im Interview verrät er zudem, wie schnell er selbst fährt.

Die Pannenhelfer – auch „Gelbe Engel“ genannt – sind vermutlich der Hauptgrund für Autofahrer, Mitglied beim Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) zu werden. Auf mehr als 22 Millionen war die Anzahl der Beitragszahler zuletzt gestiegen. ADAC-Präsident Christian Reinicke erklärt im Interview, was der alternde Pkw-Bestand damit zu tun hat und sagt auch, wie sich die Mitgliedsbeiträge entwickeln werden.

Herr Reinicke, ist der marode Zustand der Deutschen Bahn der beste Grund, weiter Auto zu fahren?

Christian Reinicke: Die Herausforderungen in Sachen Pünktlichkeit, die mit der in die Jahre gekommenen Schieneninfrastruktur zu tun haben, sind sicherlich ein Grund für viele Menschen, weiter im eigenen Auto unterwegs zu sein. Ein anderer ist, der Fahrpreis. Die Bahn muss da aufpassen, im Rahmen zu bleiben. Wir haben uns deshalb beim Deutschlandticket dafür eingesetzt, dass es erhalten und langfristig bezahlbar bleibt.

Glauben Sie, dass das Nahverkehrsangebot irgendwann mal so gut sein wird, dass man als Privatperson getrost das eigene Auto verkaufen kann?

Reinicke: Das ist meine Hoffnung, dass zumindest die Möglichkeit besteht. Aber ich bin mir relativ sicher, dass wir das in Deutschland auf absehbare Zeit flächendeckend so nicht sehen werden. Man kann schlichtweg nicht jedes kleine Dorf ans ÖPNV-Netz anschließen. Das ist nicht zu finanzieren.

Mit dem Deutschlandticket hat die Ampel versucht, einen Teil des Verkehrs von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Ist das gelungen?

Reinicke: Teilweise, ja. Zeitweise 13 Millionen Abonnenten sprechen eine deutliche Sprache. Wie viele Umsteiger da dabei waren, kann ich nicht einschätzen, aber es zeigt, dass ein einfaches und günstiges Angebot auch ankommt.

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Bund und Länder kostet das Ticket jedes Jahr Milliarden. Muss der Preis für den Nutzer weiter steigen?

Reinicke: Das hoffe ich nicht. Aus unserer Sicht ist bei dem Preis die Schmerzgrenze erreicht. Bund und Länder werden sich nach der Wahl darüber unterhalten müssen, wie es weitergeht. Am besten wäre es, eine dauerhafte Finanzierung sicherzustellen. Das gilt übrigens nicht nur für das Deutschlandticket, sondern auch für Ausbau und Instandsetzung der gesamten Verkehrsinfrastruktur.

Welche verkehrspolitischen Schwerpunkte erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung?

Reinicke: Das Thema Mobilität muss bei der Arbeit einer neuen Regierung einen breiteren Raum einnehmen als derzeit bei den Debatten im Wahlkampf. Denn für die Lebenswirklichkeit der Menschen spielen Mobilität und die Frage, was sie sich künftig leisten können, eine herausragende Rolle. Wir würden uns wünschen, dass sich eine neue Regierung klar zu Straßen und Brücken als Lebensadern für Deutschland bekennt. Dazu gehört anzuerkennen, dass die Menschen vielerorts auf das Auto angewiesen sind. Das heißt, aus unserer Sicht braucht es ein klares Bekenntnis zum Individualverkehr.

Gibt es konkrete Verbesserungen, die Sie für Autofahrer fordern?

Reinicke: Wir neigen in Deutschland dazu, alles in Extremen zu diskutieren, schwarz oder weiß, gut oder böse. Es gibt aber viele Zwischentöne und das ist unser Weg. Es gibt Klimaschutzziele und es wird weiter individuelle Mobilität geben. Das muss man verknüpfen, nicht gegeneinander ausspielen.

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Braucht es eine große Investitionsoffensive für unsere Autobahnen und Straßen?

Reinicke: Der Zustand ist so nicht mehr hinnehmbar. Das hängt aber auch damit zusammen, dass viele Gelder, die vom Autofahrer in die Staatskasse fließen, zweckentfremdet werden. Es muss daraus wieder ein höherer Anteil in die Sanierung von Straßeninfrastruktur fließen. Der Sanierungsstau ist aber so groß, dass das ein Projekt für Jahrzehnte ist. Wir müssen also damit anfangen, über Legislaturperioden hinaus zu planen.

Die Schuldenbremse ist da eher hinderlich?

Reinicke: Ich bin als Vertreter eines Mobilitätsclubs nicht für Finanzierungsfragen zuständig. Die Politik muss und wird Wege finden.

Ist das Thema Tempolimit auf deutschen Autobahnen vom Tisch?

Reinicke: Das Thema Tempolimit hat sich zu einem Symbolthema entwickelt. Dabei finde ich, es braucht intelligentere Lösungen. Man kann zum Beispiel verstärkt auf Verkehrsbeeinflussungssysteme setzen. Wo eine starke Schadstoffbelastung oder viel Verkehr ist, können solche technische Anlagen für Verbesserungen sorgen.

Wie schnell sind Sie selbst auf Autobahnen unterwegs?

Reinicke: Längere Strecken lege ich mit der Bahn oder dem Flieger zurück, kürzere Strecken mit dem Auto. Und da fahre ich auch mal schneller als 130, zumindest dort, wo es geht.

Angesichts der hohen Führerscheinkosten hat das Handwerk vorgeschlagen, junge Menschen finanziell beim Erwerb der Fahrlizenz zu unterstützen. Ist das eine gute Idee?

Reinicke: Die Kosten für den Führerschein sind gigantisch gestiegen. Zum Teil ist man da eine Summe oberhalb von 5000 Euro los, wenn ein junger Mensch etwa zunächst einen Moped-Führerschein macht, um mobil zu sein, und dann den Pkw-Führerschein – und das ist schlichtweg zu teuer. Da müssen wir Mittel und Wege finden, das günstiger zu machen. Ich bin kein Freund von staatlichen Zuschüssen, wir haben hier ein Problem, das mit der Verfügbarkeit von Ausbildungs- und Prüfkapazitäten zu tun hat.

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Autos sind, wenn man sich große europäische Metropolen anguckt, gar nicht mehr so gerne gesehen im Innenstadtverkehr. Ist es richtig, Autos einfach auszusperren?

Reinicke: Es wird immer individuelle Mobilität geben, auch in der Stadt. Da muss es vernünftige Lösungen geben. Man kann also nicht einfach pauschal Innenstädte dicht machen. Autofreie Zonen kann es durchaus geben, aber es braucht gute Kompromisse für alle Betroffenen: Ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen, Anwohner, Handwerker und Handel.

Christian Reinicke ist Präsident des ADAC.

„Gebühren fürs Parken an die Länge eines Fahrzeugs zu knüpfen, wäre falsch.“

Christian Reinicke
ADAC-Präsident

Halten Sie es für richtig, dass große Autos mehr fürs Parken zahlen als kleine?

Reinicke: Davon halte ich gar nichts. Es gibt ja unterschiedliche Motivationen, warum man ein großes Auto fährt. Da spielen sicher auch Lebensumstände eine Rolle. Drei oder vier Kinder kann man eben schlecht in einen Kleinwagen quetschen. Gebühren fürs Parken an die Länge eines Fahrzeugs zu knüpfen, wäre falsch.

An deutschen Autobahnen ist die Pause bei Tank & Rast wegen deutlich höherer Preise ein großes Ärgernis aus Sicht vieler Verbraucher. Wie könnte man das ändern?

Reinicke: Da gibt es ja Zwänge. Der Pachtvertrag zwischen der Bundesrepublik und Tank & Rast wurde Mitte der 90er Jahre mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren abgeschlossen. An der Stelle kann man wenig machen. Und auch das Kartellrecht hilft wenig, weil man eine Ausfahrt weiter ja auch abfahren und den dortigen Autohof aufsuchen kann. Richtig ist, dass die Preise – und wir reden beim Tanken über Preisunterschiede von 30, 40 Cent auf den Liter – absolut nicht gerechtfertigt sind. Ich finde das geht so nicht und da muss man was machen.

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Was?

Reinicke: Wichtig ist die Information über Preise etwa über Apps, wie sie auch der ADAC anbietet, so dass der Verbraucher Bescheid weiß. Ich halte es zusätzlich für denkbar, die Beschilderung an den Autobahnen zu verändern. Es ist ja nach wie vor so, dass eine Autobahnraststätte mit bis zu fünf Schildern pro Fahrtrichtung angekündigt wird, ein Autohof in der Regel aber nur mit einem. Das leuchtet mir nicht ein. Wir reden über Bundesautobahnen. Der Bund ist also zuständig und muss dafür sorgen, dass da mehr passiert und zum Beispiel stärker auf Angebote abseits der Autobahn hingewiesen wird.

Der Pkw-Bestand in Deutschland wird immer älter. Welche Folgen hat das für den Pannendienst des ADAC?

Reinicke: Die Leistung ist sehr gefragt. Das Älterwerden des Pkw-Bestands ist für uns einer der Erklärungsgründe dafür, dass unsere Mitgliederzahlen weiter so rasant steigen. Die Menschen wollen an der Stelle eben die Sicherheit haben, dass der ADAC zu Stelle ist, wenn sie mit ihrem, möglicherweise in die Jahre gekommenen, Fahrzeug eine Panne haben.

ADAC-Einsatzfahrzeug
Die Pannenhilfe des ADAC ist weiterhin stark nachgefragt. ADAC-Präsident Reinicke sieht auch in dem älterwerdenden Fahrzeugbestand in Deutschland einen Grund für steigenden Mitgliederzahlen bei dem Automobilclub. © picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Die deutsche Autoindustrie, die jahrzehntelang Aushängeschild für den Standort war, steckt in der Krise. Befürchten Sie einen schleichenden Abschied Deutschlands als Autonation?

Reinicke: Das glaube ich nicht. Wir sind vor allen Dingen auch eine Nation von Autofahrern. Und das, was der Deutsche an seinem Auto schätzt, ist ja, dass es über Jahre ein verlässlicher und sicherer Begleiter sein kann. Wenn wir diese Tugenden wieder hochhalten, muss man sich um die Industrie keine Sorgen machen. Aber natürlich sind wir auch in einer gewaltigen Transformation, auf die die Industrie reagieren muss. Das tut sie, da kommen Dinge in Bewegung.

Der ADAC bietet mittlerweile auch Pannenhilfe für Fahrräder, einen Schlüsselnotdient und telemedizinische Dienste an. Sind das Angebote, die dazu führen müssen, dass die Mitgliedsbeiträge steigen?

Reinicke: Die Angebote sollen neue Bedürfnisse von Mitgliedern erfüllen und die Attraktivität der Mitgliedschaft weiter steigern. Auf der Kostenseite schlagen sie noch gar nicht so sehr zu Buche.

Beitragserhöhungen im laufenden Jahr schließen Sie also aus?

Reinicke: In diesem Jahr wird es keine Beitragserhöhungen geben und im nächsten Jahr auch nicht.

Zur Person

Christian Reinicke ist seit dem 15. Mai 2021 Präsident des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC). Reinicke folgte auf August Markl, der das Amt seit 2014 ausgeübt hat. Die Präsidentenjob bei Europa größtem Verkehrsclub ist ein Ehrenamt. Hauptberuflich arbeitet Reinicke als Rechtsanwalt und Notar in Hannover. Zu seinen Spezialgebieten gehören Familien- und Verkehrsrecht. Reinicke ist verheiratet und hat drei Kinder. Er ist 60 Jahre alt. Seine Wiederwahl als ADAC-Präsident ist für diesen Mai geplant – bislang ist er der einzige Kandidat.