Berlin. Ein Drittel der gesetzlich Versicherten hält die Wartezeit auf einen Facharzttermin für „zu lang“. Der GKV-Spitzenverband pocht auf Änderungen.
Das lange Warten auf einen Facharzttermin in Deutschland: Vor allem Kassenpatienten müssen sich oft wochen- und teilweise sogar monatelang gedulden, bis sie einen Termin bei einem Augen- oder Hautarzt oder auch einem Kardiologen erhalten. Einer neuen Umfrage im Auftrag des GKV-Spitzenverbands zufolge hat sich die Lage aus Sicht der gesetzlich versicherten Patienten sogar verschlechtert. Die Ergebnisse der repräsentativen Befragung liegen dieser Redaktion exklusiv vor.
Demnach sagen 21 Prozent der gesetzlich Versicherten, dass die Wartezeiten auf einen Facharzttermin „zu lang“ oder sogar „viel zu lang“ sind. Ein Viertel der Patienten wartet länger als 30 Tage auf einen Termin in der Facharztpraxis, aber immerhin jeder Zweite könne innerhalb von 10 Tagen die Fachärztin oder den Facharzt sprechen, heißt es in der Studie, die die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen im Frühjahr 2024 durchführen ließ.
Arzttermine: Viele gesetzlich Versicherte warten länger als noch vor fünf Jahren
Insgesamt gibt ein großer Teil der Befragten an, dass nunmehr mehr Geduld nötig sei, um einen Termin zu erhalten: Im Fünfjahresvergleich berichten 43 Prozent, dass sich die Wartezeiten bei Fach- und Hausarztpraxen verschlechtert haben. Der GKV sieht als einen Grund für Entwicklung die Ungleichbehandlung zwischen Gesetzlich- und Privatversicherten und pocht auf Änderungen.
Man werde die „Diskriminierung der gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten“ nicht länger hinnehmen, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV‑Spitzenverbandes, unserer Redaktion. Gleichzeitig erneuerte sie ihre Forderung, dass bei der Terminvergabe nicht mehr danach gefragt werden dürfe, ob jemand gesetzlich oder privat versichert sei.
Arzttermine: GKV-Spitzenverband will Ungleichbehandlung abschaffen
75 Millionen Menschen in diesem Land seien gesetzlich versichert, so Stoff-Ahnis weiter. „Zu einer bedarfsgerechten und qualitätsgesicherten Versorgung gehört, dass sie einen Arzttermin bekommen, wenn sie ihn aus medizinischen Gründen brauchen und nicht irgendwann. Insbesondere für die 90 Prozent der Bevölkerung, die gesetzlich versichert sind, ist deutlich Luft nach oben“, erklärte sie. Forderungen danach, die Ungleichbehandlung bei der Terminvergabe in deutschen Arztpraxen abzuschaffen, gibt es immer wieder. Sie finden sich zum Teil auch in den Wahlprogrammen der Parteien wieder. SPD und Grüne wollen zum Beispiel eine Bürgerversicherung, in die gesetzliche und privat Versicherte einzahlen. Die Private Krankenversicherung (PKV) als Vollversicherung abschaffen? Dagegen gibt es aber auch Bedenken.
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Vom Verband der Privaten Krankenversicherung heißt es, zwar seien nur zehn Prozent der Patienten Privatversicherte, sie würden aber für 20 Prozent der Umsätze sorgen. Ein „fiktives Szenario ohne PKV“ würde dem deutschen Gesundheitssystem demnach jährlich mehr als 12 Milliarden Euro entziehen. Dieser sogenannte PKV-Mehrumsatz würde laut Verband „ersatzlos wegfallen“, wenn alle Privatversicherten als gesetzlich Versicherte abgerechnet würden. Fehlt Geld, würden Wartezeiten wohl eher weiter steigen als sinken, so der Verband. Dort merkt man aber auch: Schon rein rechnerisch könnten die 10 Prozent Privatversicherte nicht die Ursache für größere Wartezeiten der 90 Prozent GKV-Versicherten sein.
Private Krankenversicherung gänzlich abschaffen? Das sagt ein Experte dazu
Der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld sieht in der unterschiedlichen Honorierung den wesentlichen Unterschied für die längere durchschnittliche Wartezeit von Kassenpatienten: „In der Regel bringt die Behandlung eines Privatpatienten mindestens das Doppelte des Honorars und zudem ist der Arzt nicht durch Budgets begrenzt“, sagte Greiner dieser Redaktion. In akuten Krankheitssituationen seien aber keine Wartezeitenunterschiede festzustellen. Die PKV gänzlich abzuschaffen, hielte Greiner darüber hinaus für einen langfristigen Prozess. „Die jetzt PKV-Versicherten hätten natürlich Vertrauensschutz, das würde also Jahrzehnte dauern, bis die PKV als Vollversicherung ganz abgeschafft wäre“, so der Experte.
Mit Blick auf die unterschiedlichen Wartezeiten von Kassen- und Privatpatienten seien anderen Maßnahmen wohl erfolgversprechender. Greiner zufolge sollte in Deutschland zum Beispiel die generelle Zahl der Arztkontakte reduziert werden. Das würde vermutlich zum Beispiel über eine neue Praxisgebühr funktionieren, die sich aber diesmal anhand der Zahl der Kontakte berechnen sollte. Darüber hinaus müsste man die Überversorgung an Ärzten gerade in städtischen Regionen abbauen und in unterversorgten Regionen das Angebot gezielt ausbauen. Auch das Übertragen von bislang ärztlichen Tätigkeiten auf spezialisierte medizinische Fachberufe, wie zum Beispiel in der Wundversorgung, könnte helfen, ebenso mehr digitale Arztkontakte, ergänzte Greiner.
Handlungsbedarf sieht auch die Bundesärztekammer (BÄK): „Deutschland ist wie kaum ein anderes Land von einem ungesteuerten Zugang zur ärztlichen Versorgung geprägt“, so ein BÄK-Sprecher gegenüber dieser Redaktion. Mehr Koordination und Steuerung in der Patientenversorgung sei deshalb nötig.
Arzttermine: Sozialverband will Zweiklassenmedizin abschaffen
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) spricht sich dafür, die Zweiklassenmedizin abzuschaffen. Mitglieder würden verstärkt zurückmelden, dass Termine immer schwerer zu erhalten seien, sagte die SoVD-Vorstandschefin Michaela Engelmeier dieser Redaktion. „Die Kluft zwischen privat und gesetzlich Versicherten muss endlich verkleinert werden“, forderte sie.
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Von der SPD im Bundestag heißt es, man kämpfe für ein gerechtes Gesundheitssystem. „Dazu gehört auch, dass gesetzlich Versicherte dieselben Behandlungsmöglichkeiten haben wie privat Versicherte und nicht länger auf Termine warten müssen“, so die gesundheitspolitische Sprecherin Heike Baehrens zu dieser Redaktion. Es helfe aber nichts, wenn alle länger warten müssten. Deswegen müsse etwas getan werden, um Ärzte von medizinisch nicht erforderlichen Patientenkontakten zu entlasten.
Patienten wünschen sich längere Öffnungszeiten und Online-Terminvergaben
Kassenpatienten wünschen sich der Befragung zufolge auch längere Öffnungszeiten. 27 Prozent der Versicherten bewerten die Öffnungszeiten der Arztpraxen als „zu kurz“ oder „viel zu kurz“. Für gut die Hälfte der Befragten sind die Öffnungszeiten „noch akzeptabel“. Darüber hinaus ist das Interesse an Onlineterminvergaben gestiegen. Mittlerweile sehen 51 Prozent der Befragten die Terminvergabe über das Internet als „sehr wichtig“ oder „wichtig“ an. Laut GKV gebe es aber bei den Versicherten Bedenken, dass persönlichen Daten zweckentfremdet verwendet werden könnten. Die GKV schlug vor, eine Vermittlungsalternative durch nicht kommerzielle Anbieter aufzubauen.
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