Essen. Thyssenkrupp entscheidet sich gegen den Bochumer RuhrCongress. Auf den „Kekserlass“ folgt der Bockwurst-Verzicht für Kleinaktionäre.

Im vergangenen Jahr konnten Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm und Vorstandschef Miguel López noch Lob führender Aktionärsvertreter einheimsen, weil sie sich bei der Hauptversammlung in Bochum auf offener Bühne – und nicht nur am Computerbildschirm – dem teils kritischen Dialog mit Anteilseignern stellten. Die Einladung zur Präsenz-Hauptversammlung sei „Ausdruck des Respekts gegenüber den Eigentümern“, schwärmte Ingo Speich, der für die Fondsgesellschaft Deka, das Wertpapierhaus der Sparkassen, Anfang 2024 im Bochumer „RuhrCongress“ sprach. „Vorstand und Aufsichtsrat stellen sich unseren Fragen und ducken sich nicht im virtuellen Format weg“, sagte Speich.

Doch die Respektsbekundungen haben augenscheinlich keine nachhaltige Wirkung. Wie aus der Einladung zur aktuellen Hauptversammlung hervorgeht, kehrt der angeschlagene Essener Stahl- und Industriegüterkonzern nun wieder zum Digital-Format zurück, das sich in den Jahren der Corona-Pandemie etabliert hat. Das Aktionärstreffen werde am 31. Januar 2025 in Form einer virtuellen Hauptversammlung, also „ohne physische Präsenz“ der Anteilseigner stattfinden. Der Ort der Hauptversammlung im Sinne des Aktiengesetzes ist dann die Thyssenkrupp-Hauptverwaltung in Essen. Wie sich das Management um Russwurm und López äußert, werde dann „live in Bild und Ton“ auf der Internetseite des Unternehmens übertragen.

Anfang 2024 im Bochumer RuhrCongress: Thyssenkrupp wählte im vergangenen Jahr noch die große Bühne für die Hauptversammlung.
Anfang 2024 im Bochumer RuhrCongress: Thyssenkrupp wählte im vergangenen Jahr noch die große Bühne für die Hauptversammlung. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Die Thyssenkrupp-Führung begründet ihren Schritt unter anderem mit geringeren Kosten. Die Saalmiete und die Bewirtung für die Bochumer Kongresshalle entfallen. Auch konzernintern gibt es derzeit einen eisernen Sparkurs. So hatte der Vorstand der Stahlsparte vor wenigen Wochen verfügt, es solle „keine Bewirtungen“ mehr „bei internen Meetings“ geben. Ausdrücklich erwähnt werden „Kaffee, Milch, Wasser, Kekse“. In der Belegschaft ist daher spöttisch von einem „Keks-Erlass“ die Rede. Insofern erscheint für die Hauptversammlung ein Brötchen- und Bockwurst-Verzicht – so die klassische Bewirtung für die Thyssenkrupp-Kleinaktionäre – fast schon folgerichtig.

Thyssenkrupp: Deutlich geringere Kosten für digitale Hauptversammlung

„Aufgrund der deutlich höheren Kosten und der im Vergleich zu früheren Jahren geringen physischen Teilnahme unserer Aktionärinnen und Aktionäre haben wir uns entschlossen, die diesjährige Hauptversammlung ausschließlich virtuell abzuhalten und damit den organisatorischen wie finanziellen Aufwand deutlich zu reduzieren“, erklärt das Thyssenkrupp-Management auf Anfrage unserer Redaktion. Das virtuelle Format sei im Vergleich zur Präsenzveranstaltung vor einem Jahr um rund 60 Prozent günstiger, berichtet das Unternehmen, ohne die genauen Summen zu nennen. Mehrere hundert Teilnehmer sind im vergangenen Jahr zum Aktionärstreffen nach Bochum gereist.

Ob Thyssenkrupp auch in den nächsten Jahren nur noch digital mit den Aktionärinnen und Aktionären in Kontakt treten will, ist nach Darstellung des Unternehmens offen. „Für künftige Hauptversammlungen werden wir das Format jeweils im Einzelfall und mit Blick auf die konkrete Tagesordnung evaluieren. Dabei werden wir insbesondere die Bedeutung der zu behandelnden Themen sowie die Interessen unserer Aktionärinnen und Aktionäre berücksichtigen“, teilt das Management mit.

Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López bei der Hauptversammlung 2024 in Bochum: Von Aktionärsvertretern gab es Lob für den direkten Austausch bei einer Präsenzveranstaltung.
Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López bei der Hauptversammlung 2024 in Bochum: Von Aktionärsvertretern gab es Lob für den direkten Austausch bei einer Präsenzveranstaltung. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch


Nach der Corona-Pandemie sei bei der Thyssenkrupp-Hauptversammlung im Jahr 2023 beschlossen worden, die Treffen der Anteilseigner „generell auch virtuell abzuhalten“. Den Aktionärinnen und Aktionären habe das Management aber in Aussicht gestellt, „bei entsprechend wichtigen Themen oder Ereignissen eine Präsenzversammlung durchzuführen“. Der Wechsel im Vorstandsvorsitz und die Ernennung von Miguel López zum neuen Vorstandsvorsitzenden sei „für uns ein wichtiges Argument für eine Präsenzveranstaltung im Jahr 2024“ gewesen. Daher habe die Hauptversammlung 2024 erstmals seit 2020 wieder in Präsenz stattgefunden.

Bei der Hauptversammlung Anfang Februar vergangenen Jahres hatte es noch Proteste vor der Bochumer Veranstaltungshalle gegeben. Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, und Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol ergriffen vor der Tür das Wort, bevor sie sich als Aufsichtsratsmitglieder in die Halle begaben. „Wir brauchen einen Vorstandsvorsitzenden, der aufrüttelt, aber nicht alles einreißt“, rief Kerner, und Nasikkol schimpfte in Richtung Konzernchef: „So kann man kein Unternehmen führen.“ Auch aktuell ist die Stimmung im Konzern äußert angespannt. Betriebsratsmitglieder hatten ihre Erwartung geäußert, dass es angesichts der angestrebten Einschnitte in der Stahlsparte zu Jahresbeginn Demonstrationen aus der Belegschaft geben könnte.

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