Berlin. Monika Schnitzer, Chefin der Wirtschaftsweisen, fordert eine Rentenreform. Wie Selbstständige und der Öffentliche Dienst betroffen wären.
Der Wahlkampf zur Bundestagswahl am 23. Februar nimmt Fahrt auf. Doch Monika Schnitzer ist enttäuscht von den Konzepten der Parteien, wie Deutschland aus der Wirtschaftskrise finden soll. Oder wie CDU, SPD und Co. die Altersvorsorge sichern wollen. Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen sagt im Interview, was sich ändern muss.
Deutschland steckt fest in der Rezession. Ist das der Abschwung der Ampel?
Monika Schnitzer: Nein. Schon vor der Ampelkoalition hat sich die Industrieproduktion zurückentwickelt. Dann kamen Pandemie und Energiekrise, und über allem steht die Herausforderung, die Wirtschaft klimafreundlich umzugestalten. Die Ampel hat mit ihrem ständigen Streit die Menschen und die Unternehmen verunsichert – und damit zur Talfahrt der Wirtschaft beigetragen. Aber man kann ihr die Rezession nicht allein in die Schuhe schieben.
Was muss die nächste Regierung leisten?
Schnitzer: Es geht vor allem darum, die Unsicherheit zu reduzieren und zu zeigen, dass man an einem Strang zieht. Aber das wird nicht so einfach sein, gerade wenn es auf eine große Koalition hinausläuft. Union und SPD kommen aus unterschiedlichen Welten, die nicht so leicht zusammenfinden. Es droht Reformstillstand – und weiterer Wohlstandsverlust.
Wie findet unsere Schlüsselindustrie – die Autobranche – aus der Krise?
Schnitzer: Dafür sind in erster Linie die Unternehmen selbst verantwortlich. In der Autoindustrie läuft es – neben den hohen Kosten – vor allem deswegen schlecht, weil die Hersteller keine konkurrenzfähigen Produkte haben. VW ist eingebrochen, weil es nicht gelingt, Elektroautos auf dem chinesischen Markt zu verkaufen. Die Politik in Deutschland hat damit erst einmal nichts zu tun.
Arbeitgeberverbände wollen am Verbrennerverbot rütteln, um den Autobauern zu helfen …
Schnitzer: Das wäre absolut die falsche Antwort. Wer das europäische Vorgehen beim Verbrennungsmotor infrage stellt, bringt neue Verunsicherung und hält die Menschen davon ab, Elektroautos zu kaufen. Ständig die Richtung zu ändern, ist wirklich problematisch. So wird die Transformation nicht gelingen.
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Schnitzer: Ladegutscheine wären ein Signal, dass die Politik helfen will. Auf der anderen Seite muss man sich klarmachen, dass eine solche Förderung auch Herstellern zugutekommt, die gar nicht in Deutschland produzieren. Die billigen Elektroautos kommen aus China. Die sollte der deutsche Staat nicht unbedingt unterstützen.
Die Parteien überbieten sich in ihren Wahlprogrammen mit Milliarden-Geschenken. Ist dafür denn Geld da?
Schnitzer: Wahlgeschenke wie eine Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie bringen unserem Land überhaupt nichts. Die Parteien sagen gerne, Steuersenkungen seien über Wirtschaftswachstum zu finanzieren. Aber das ist in kurzer Frist völlig unrealistisch. Es ist gut möglich, dass wir auf Jahre hinaus nur ein halbes oder ein Prozent Wachstum haben. Der Verweis auf Einsparmöglichkeiten beim Bürgergeld überzeugt mich ebenso wenig. Aus einer Reform würden sich nur kleine Beträge ergeben, mit denen man keine größeren Steuerentlastungen finanzieren kann.
Also wird die Schuldenbremse fallen?
Schnitzer: Ich denke, die nächste Regierung wird nicht darum herumkommen, das Grundgesetz zu ändern und die Schuldenbremse zu reformieren. Das ist auch in Ordnung. Wir haben im Sachverständigenrat einen Vorschlag für eine moderate Reform gemacht, die einen zusätzlichen Spielraum von knapp 30 Milliarden im Jahr schaffen würde, wenn wir bei einer Schuldenstandsquote von 60 Prozent sind.
Genügt das?
Schnitzer: Das reicht nicht, um all die Probleme zu lösen, die wir haben. Aber damit könnte man die Verteidigung dauerhaft finanzieren, wenn das Sondervermögen Ende 2027 vollends verausgabt ist. Ganz wichtig bei einer Reform der Schuldenbremse ist die gesetzliche Festlegung, dass das zusätzliche Geld ausschließlich für zukunftsorientierte Investitionen – Verteidigung, Infrastruktur, Bildung – ausgegeben wird. Ein Rentenpaket sollte man damit nicht finanzieren.
„Wenn wir verhindern wollen, dass die Beitragssätze zu sehr angehoben werden müssen, muss man dafür sorgen, dass die Leute länger arbeiten und die Renten nicht so stark ansteigen wie bisher.“
Ist die Rente so sicher, dass man um Zumutungen herumkommt? Gerade Union und SPD sind in ihren Wahlprogrammen sehr zurückhaltend …
Schnitzer: Es ist wirklich enttäuschend, dass sich niemand an eine große Rentenreform herantraut. Offensichtlich wollen die Parteien die Wahl nicht bei den Rentnern verlieren. Aber die Augen so zu verschließen vor der Notwendigkeit, das Rentensystem zu sichern, ist schon verantwortungslos. Wir haben ein massives demografisches Problem. Die Rentenzahlungen steigen, und die Zahl der Beitragszahler geht zurück. Wenn wir verhindern wollen, dass die Beitragssätze zu sehr angehoben werden müssen, muss man dafür sorgen, dass die Leute länger arbeiten und die Renten nicht so stark ansteigen wie bisher.
Sprechen Sie von der Rente mit 70?
Schnitzer: Ich spreche davon, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Für jedes zusätzliche Lebensjahr sollten die Menschen in Deutschland acht Monate mehr arbeiten und vier Monate mehr Rente bekommen. Außerdem sollten wir die Rente mit 63 – also die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren – abschaffen. Sie wird von Leuten in Anspruch genommen, die durchschnittlich verdienen und überdurchschnittlich gesund sind – und die nur deswegen aufhören zu arbeiten, weil man es ihnen attraktiv macht. Generell sollte man die Abschläge verdoppeln, wenn Menschen vorzeitig in Rente gehen. Eine Rentenreform muss in das 100-Tage-Progamm jeder neuen Regierung.
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Von einer großen Koalition ist das nicht zu erwarten.
Schnitzer: Ich bedauere, dass Veränderungen beim Renteneintrittsalter von SPD und Union gleichermaßen ausgeschlossen werden. Das bedeutet nichts anderes als massiv steigende Beiträge, die man der jungen Generation nicht zumuten sollte. Dass die SPD bei der Rente nicht vorprescht, war zu erwarten. Aber dass die Union schon vor den Koalitionsverhandlungen einknickt, macht mich etwas ratlos.
Die FDP dringt weiter auf eine Aktienrente. Überzeugt Sie das?
Schnitzer: Jedenfalls nicht in der Form eines schuldenfinanzierten Generationenkapitals, wie es die Ampel im Rentenpaket II geplant hatte. Für die Stabilisierung der Beiträge ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Aktienrente, in die jeder selbst einzahlt und Ansprüche erwirbt, wäre hingegen ein Schritt in die richtige Richtung.
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Wer soll alles in die Rentenkasse einzahlen?
Schnitzer: Ich würde den Kreis auf Selbstständige erweitern. Das dient bei Selbstständigen auch dem Selbstschutz. Auch die Beamtenversorgung sollte reformiert werden. Zu erwarten, dass durch eine beitragsfinanzierte Beamtenversorgung das gesetzliche Rentensystem querfinanziert wird, ist aber illusorisch. Im Beamtensystem braucht es grundsätzlichere Fragen: Müssen wir überhaupt so viel verbeamten? Natürlich müssen etwa Polizisten Beamte sein. Lehrer dagegen müsste man nicht verbeamten.
Gehören zu der Reform, die Sie verlangen, auch Rentenkürzungen?
Schnitzer: Es geht nicht um Rentenkürzungen, sondern darum, die Rentenzuwächse zu begrenzen. Wir können die Renten nicht mehr so stark steigen lassen wie die Löhne. Eine Möglichkeit wäre, die Rentenzuwächse an die Inflationsentwicklung zu koppeln. Damit bleiben die Renten real stabil.
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