Berlin. Die Ampel schaffte keine große Rentenreform. Nun muss sich viel tun, damit wir uns das gesetzliche Vorsorgesystem weiter leisten können.

Den wirklich großen Wurf bei der Rente – die geplatzte Ampel hat die notwendigen Reformen bei der gesetzlichen und auch der privaten Altersvorsorge trotz vielversprechender Ansätze nicht mehr hinbekommen. Rentenexperten sind sich aber einig, dass das Thema Rentenreform in der neuen Legislaturperiode ganz oben auf der To-do-Liste einer neuen Bundesregierung liegen sollte. Fünf denkbare Reformen und was sie bringen würden.

1. „Rente mit 63“ endlich reformieren

Wer 35 oder sogar 45 Jahre an anrechenbaren Zeiten in der Rentenversicherung angesammelt hat, kann derzeit früher in Rente gehen. Das Angebot für besonders langjährig Versicherte, früher als „Rente mit 63“ bezeichnet, nutzten zuletzt immer mehr Menschen in Deutschland. 2023 hatten etwa 300.000 Menschen die „Rente mit 63“ bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) beantragt. Mittlerweile sind rund 30 Prozent aller Rentenzugänge auf diese Frührente zurückzuführen.

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Wirtschaftswissenschaftler und Rentenexperten empfehlen schon seit einiger Zeit Reformen – bislang, ohne bei der Politik auf Gehör zu stoßen. Der Wirtschaftsweise Martin Werding hatte zum Beispiel vorgeschlagen, die abschlagsfreie Frührente nach 45 Beitragsjahren auf Geringverdiener zu beschränken. Bei der Möglichkeit, in Frührente nach 35 Jahren Versicherungszeit zu gehen, brachte Werding höhere Abschläge als bislang ins Spiel. Vorschläge, die der Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unterstützt.

„Die sogenannte ‚Rente mit 63‘ ist jedes Jahr eine deutliche Belastung für die Rentenversicherung. Um das zu ändern, müsste dieses Angebot auf einen viel kleineren Personenkreis beschränkt werden“, sagt Geyer im Gespräch mit dieser Redaktion. Für denkbar hält er: den Zugang in die Frührente an lange Versicherungszeiten in ganz bestimmten Schwerarbeitsberufen zu knüpfen. „Dafür müsse zunächst eine Positivliste mit diesen bestimmten Tätigkeiten entwickelt werden.“ Vorbilder dafür gibt es im Ausland durchaus. Österreich zum Beispiel hat eine Schwerarbeitpension. „Noch besser wäre aber ein erleichterter Rentenzugang im höheren Alter für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen in ihrem bisherigen Beruf nicht weiterarbeiten können. Das wäre zwar etwas aufwendiger, aber wesentlich zielgenauer. Dann könnte man die Altersgrenze sogar etwas senken“, so Geyer.

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2. Selbstständige einzahlen lassen und weniger verbeamten

Eine weitere Idee, um langfristig die Finanzlage der Rentenversicherung zu stärken, ist, für mehr Einzahler zu sorgen. Dabei immer im Fokus: Beamte und auch Selbstständige, denen es bislang freigestellt ist, mit Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung für ihr Leben im Alter vorzusorgen. Würde man Selbstständige miteinbeziehen, würden sich in den 2030er-Jahren „geringe, aber günstige Effekte“ zeigen, so der Sachverständigenrat. Gingen die ersten von ihnen in den Ruhestand, nähme die Entlastung wieder ab. Im Jahr 2080 hätte die Einbeziehung aber noch geringe positive Wirkungen. Auch Beamte hätten einen positiven Effekt – aber nur, solange keine zusätzlichen Renten anfallen, so die Wirtschaftsweisen. DIW-Experte Geyer plädiert deshalb dafür, einfach weniger zu verbeamten.

3. Hinterbliebenenrente für neue Ehen abschaffen

14,4 Prozent der Gesamtausgaben der Rentenversicherung flossen 2023 in die Finanzierung der Hinterbliebenenrenten. Ein gewaltiger Kostenblock – und eigentlich aus der Zeit gefallen, sagt DIW-Forscher Geyer. „Das wäre keine Reform, die sich von heute auf morgen umsetzen ließe. Aber man könnte zum Beispiel diese Art der Absicherung für neue Ehen auslaufen lassen. Damit einher gingen auch positive Erwerbsanreize innerhalb von Partnerschaften. Man müsste dann stärker selbst für Absicherung sorgen“, so Johannes Geyer.

Eine Idee, die in Ansätzen auch der Wirtschaftsweise Martin Werding teilt. „Wegen der Verrechnung mit eigenen Rentenansprüchen verringert die Aussicht auf Hinterbliebenenrenten die Erwerbsanreize in der aktiven Lebensphase, vor allem bei Frauen“, sagt Werding zu unserer Redaktion. Auch der Top-Ökonom hält eine Reform nur mit einer „sehr langen Übergangsfrist“ für denkbar.

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„Langfristig könnte die Hinterbliebenensicherung im Alter durch ein Splitting aller Rentenansprüche übernommen werden, die während einer Partnerschaft erworben werden. Bei Todesfällen Versicherter während ihrer Erwerbsphase bräuchte es weiterhin eine befristete Rente, vor allem wenn die überlebenden Partner Kinder betreuen und daher nicht oder nicht voll erwerbstätig sein können“, erklärt Werding. Rentensplitting gibt es bereits, es ähnelt dem Versorgungsausgleich im Falle einer Scheidung. „Ehepaare können das wählen und auf Witwen- und Witwerrenten verzichten. Das tut allerdings kaum jemand, weil es im Normalfall Verluste gegenüber dem traditionellen Modell der Hinterbliebenenrenten bedeutet“, so der Top-Ökonom. Bislang gibt es die kleine und die große Witwenrente. Der Hinterbliebene erhält dabei maximal 55 Prozent der Rentenansprüche des Verstorbenen.

4. Rentenbeiträge am Aktienmarkt anlegen

Andere Länder machen es vor und sorgen damit für Stabilität bei ihren Rentenfinanzen. Schweden zum Beispiel lässt Arbeitnehmer jeden Monat 2,5 Prozent ihres Bruttogehalts in einen staatlich verwalteten Altersvorsorgefonds einzahlen, der vornehmlich in Aktien und Fonds aber auch in Staats- und Unternehmensanleihen investiert. Vorschläge, in Deutschland ein ähnliches Modell zu etablieren, gibt es schon länger. Allerdings müsste der als risikoscheu geltende Deutsche dann mitunter auch mit Wertschwankungen bei dieser Anlageform leben müssen. „Man kann ein solches Modell auch über die betriebliche Altersvorsorge organisieren. Großbritannien macht das zum Beispiel so. Hierzulande ließe sich so vielleicht auch die Tarifbindung stärken“, sagt DIW-Experte Geyer.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
Bundesarbeitsminister Hubertus Heuils (SPD) und die anderen Ampel-Parteien hatten sich auf verschiedene Änderungen bei der Rente geeinigt. Wegen dem Koalition-Aus kamen die allerdings nicht mehr. © DPA Images | Martin Schutt

Die Ampel-Koalition hatte sich zwar schon auf das sogenannte Generationenkapital geeinigt. Dabei sollten vom Bund aufgenommene Schulden, aber keine Rentenbeiträge, am Kapitalmarkt angelegt werden und langfristig dabei helfen, den Anstieg des Rentenbeitragssatzes zu begrenzen. Das Rentenpaket II kam nach dem Koalitions-Aus aber nicht mehr durch den Bundestag. Ähnlich erging es dem FDP-Entwurf zu einem neuen, staatlich gefördertem Altersvorsorgedepot.

5. Beschäftigung steigern

„Wir brauchen Maßnahmen, um mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen“, so Geyer. Dazu gehörten eine gezielte Fachkräfteeinwanderung, ebenso wie die Qualifikation von Arbeitslosen und auch Anreize, ältere Menschen länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten. Darüber hinaus müsste auch die Erwerbstätigkeit von Frauen gesteigert werden, die noch immer deutlich häufiger in Teilzeit arbeiteten als Männer.