Essen. Nach vielen Top-Managern verlässt unter López auch der Finanzvorstand den Krisenkonzern. Warum der Zeitpunkt Fragen aufwirft.

Der Schwund an führenden Managern bei Thyssenkrupp lässt nicht nach: Nun verlässt Finanzchef Jens Schulte den kriselnden Traditionskonzern. Schulte hatte diesen Posten erst im Sommer übernommen. Er habe „den Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG um eine einvernehmliche Beendigung seines Vorstandsmandates gebeten“, teilte das Essener Unternehmen am Donnerstagabend mit. Hintergrund sei „der Wunsch von Herrn Schulte, als Finanzvorstand zum Dax-Konzern Deutsche Börse AG zu wechseln“. Wann Schulte ausscheidet, steht noch nicht fest.

„Jens Schulte trägt als Finanzvorstand seit seinem Eintritt in das Unternehmen mit großem Engagement und nachdrücklichem Einsatz, insbesondere auch für den Erfolg des Performance-Steigerungsprogramms Apex, dazu bei, dass sich Thyssenkrupp in einem schwierigen Marktumfeld finanziell gut behauptet“, sagte Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm. Er respektiere „den Wunsch von Herrn Schulte, die sich ihm bietende Chance zu ergreifen, in den Vorstand eines DAX-40 Unternehmens zu wechseln, auch wenn wir sein Ausscheiden aus dem Vorstand der Thyssenkrupp AG sehr bedauern“.

López: „Von den 150 Top-Managern haben 40 Prozent gewechselt“

Ohne Brisanz ist diese Personalie dennoch nicht, schließlich ist Schulte einer von sehr vielen Topmanagern, die in den vergangenen Monaten gegangen sind oder gehen mussten. Unter der Führung von Konzernchef Miguel López hat es etliche Wechsel auf den Spitzenpositionen gegeben, wie er selber gerne betont. „Von den 150 Top-Managern haben rund 40 Prozent gewechselt“, berichtete der Thyssenkrupp-Chef unlängst in einem „Focus“-Interview. Aus seinem Zusatz, „heute haben wir ein jüngeres Team, supermotiviert“ meinten Konzernkenner auch einen wenig schmeichelhaften Unterton gegenüber den scheidenden Managern herausgehört zu haben.

Dazu sagte Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol unserer Redaktion kürzlich: „Herr López rühmt sich damit, dass er 40 Prozent der Führungskräfte im Konzern ausgetauscht hat. Die Folgen sind fatal. Uns sind Kompetenz, Erfahrung und sehr viel Leidenschaft für Thyssenkrupp abhandengekommen.“ Die Betriebsräte würden derzeit „aktiv von verbliebenen Führungskräften angesprochen, weil sich keiner mehr traut, seine Meinung kundzutun“. Wer nicht linientreu sei, müsse gehen.

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Beim Finanzchef Schulte, der in den wenigen Monaten seiner Amtszeit nach außen einen guten, betont sachlichen Eindruck hinterlassen hat, ist zumindest der Zeitpunkt seiner Entscheidung mehr als bemerkenswert. Er löst seinen Dreijahresvertrag sehr frühzeitig auf, und dies wenige Tage, nachdem er noch eine neue Vorstandsaufgabe übernommen hat: Er sollte im Februar als Zwischenlösung das Personalressort von Oliver Burkhard übernehmen. Der frühere IG-Metall-Landeschef hatte seinen Rücktritt als Personalchef just an dem Tag bekanntgegeben, als Thyssenkrupp für den Stahl die Trennung von 11.000 Beschäftigten angekündigt hatte.

Zwar betont das Unternehmen, Schulte werde bis zu seinem Ausscheiden „seine Aufgaben als Finanzvorstand und ab dem 1. Februar 2025 zusätzlich interimistisch als Personalvorstand der Thyssenkrupp AG wahrnehmen“. Doch das Stühlerücken würde damit nur noch hektischer, wenn das in dieser Krisenzeit so wichtige Personalressort alle paar Monate neu besetzt werden muss.

Fast alle Spartenchefs wurden unter López ausgetauscht

Skeptisch macht auch die Vorgeschichte: Sämtliche Chefs der Konzernsparten – abgesehen von Marine-Chef Oliver Burkhard – sind während der Amtszeit von López ausgetauscht worden. Seit Anfang Oktober führt Konzernvorstand Volkmar Dinstuhl auch das wichtige Segment Automotive Technology.

Einige Wochen zuvor hatte es bei einem Stühlerücken an der Spitze der Thyssenkrupp-Werkstoffhandelssparte gekracht. Um die neue Segment-Chefin Ilse Henne durchzusetzen, die wie Dinstuhl auch Vorstandsmitglied der Thyssenkrupp AG ist, musste der zuständige Aufsichtsratschef – Jens Schulte – nach Angaben der IG Metall seine Doppelstimme einsetzen, um damit die Vertreter der Belegschaft zu überstimmen. Arbeitnehmervertreter sprachen danach von einem „rücksichtslosen Durchdrücken von Personalentscheidungen“.

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Zuletzt nahm auch Cetin Nazikkol, der Bruder von Betriebsratschef Tekin Nasikkol, seinen Hut: Er war langjährige Thyssenkrupp-Führungskraft und Vorstandsmitglied der Dortmunder Sparte Decarbon Technologies, die von López persönlich geführt wird. Dabei fiel auf, dass sich López auch in einem konzerninternen Schreiben an die Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt, nicht zum Weggang von Nazikkol äußerte.

Betriebsratschef Tekin Nasikkol kritisiert „Angst-Kultur“ unter López

Besonders groß war der Knall in der Thyssenkrupp-Stahlsparte. Ende August mussten drei Stahl-Vorstände gehen, darunter Sparten-Chef Bernhard Osburg. Auch vier Aufsichtsräte schmissen hin, allen voran der frühere Vizekanzler Sigmar Gabriel als Steel-Aufsichtsratschef und sein Stellvertreter Detlef Wetzel von der IG Metall. Es dominierten nun die „Ja-Sager“, sagen Kritiker von López, dessen Drei-Jahres-Vertrag bis Ende Mai 2026 läuft.