Marl. Hagener Branchenführer baut in Marl Logistikzentrum mit eigener Druckerei. Was das für Kunden und Buchverlage bedeutet. Und was Verdi kritisiert.

Mit etwas Verzögerung haben Thalia und Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) den Bau des neuen Großstandorts in Marl per Spatenstich symbolisch begonnen. In dem Büro-, Logistik- und Produktionskomplex sollen 600 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, aus denen später 1000 werden sollen. Die Investition von rund 100 Millionen Euro ist die größte der vergangenen Jahre im nördlichen Ruhrgebiet.

Der nach eigenen Angaben größte Buchhändler Deutschlands will damit aber nicht einfach weiteres Wachstum ermöglichen, sondern ein ganz neues Kapitel seiner Unternehmensgeschichte aufschlagen: Denn der Hagener Konzern will in Marl mit einer eigenen Digitaldruckerei ins wachsende „Print-on-Demand“-Geschäft einsteigen und über Nacht auf Bestellung selbst Bücher drucken.

Kleine Druckereien begegnen Thalia-Vorstoß mit Skepsis

Was den Thalia-Kundinnen und -Kunden eine schnellere und verlässlichere Lieferung ihrer Wunschbücher auch jenseits der Topseller sichern soll, zieht allerdings auch die Skepsis kleiner Buchdruckereien auf sich, die im branchenweiten Trend zum Print-on-Demand ihr Geschäftsmodell und ihre Eigenständigkeit gefährdet sehen.

Spatenstich Thalia Logistik-Zentrum.
Blick auf das Baugebiet des Thalia-Logistik-Zentrums in Marl. Hier will der Buchhändler künftig auch selbst drucken. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die Gewerkschaft Verdi steht den Thalia-Plänen ebenfalls kritisch gegenüber: „Schon jetzt diktiert Thalia als Branchenriese im Buchhandel den kleinen und mittleren Verlagen die Konditionen“, sagte Rachel Marquardt, Verdi-Bereichsleiterin für die Druckbranche, unserer Redaktion. Und: „In der Praxis bedeutet dies, dass Titel aus diesen Verlagen immer öfter nicht in den Thalia Buchhandlungen vor Ort zu erhalten sind, sondern nur dort bestellt werden können.“

Thalia-Chef Ingo Kretzschmar ist freilich von seinen Plänen überzeugt: „Der erste Spatenstich für unseren neuen Omni-Channel-Hub in Marl markiert einen bedeutenden Meilenstein in der Weiterentwicklung von Thalia“, sagte er am Montag in Marl, und betonte: „Mit diesem hochmodernen Standort schaffen wir nicht nur die Grundlage, unsere Marktführerschaft im deutschen Buchhandel weiter auszubauen, sondern auch attraktive und qualifizierte Arbeitsplätze für bis zu 1000 Menschen in der Region.“

In Marl baut der Hamburger Projektentwickler ECE eine 56.000 Quadratmeter große Immobilie für Logistik und Produktion. ECE ist im Ruhrgebiet wohlbekannt, betreibt etwa das Mülheimer Rhein-Ruhr-Zentrum, den Limbecker Platz in Essen und das Duisburger Mercator-Center. Mit Thalia haben die Stadt Marl und die RAG Montan Immobilien den ersten Großinvestor für ihr Gelände der ehemaligen Schachtanlage Auguste Victoria 3/7 gefunden, dem weitere folgen sollen. „Ab heute ist es hier doppelt so spannend, weil Thalia da ist“, warb Marls Bürgermeister Werner Arndt (SPD) entsprechend.

Thalia-Bauprojekt in Marl hat rund ein halbes Jahr Verspätung

Der vor einem Jahr verkündete Zeitplan mit Spatenstich im Frühjahr 2024 und Inbetriebnahme 2025 ist allerdings nicht mehr ganz zu halten. Nun soll der neue Standort erst zu Beginn 2026 richtig loslegen. Es entstehen ein Bürogebäude und mehrere Logistik- und Produktionshallen. Zu einem nachhaltigen Standort sollen den Gewerbekomplex eine Gebäude-Begrünung, Wärmepumpen und großen Solaranlagen auf den Hallendächern machen. 

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Das freut Wirtschaftsministerin Neubaur, die zugleich Ministerin für Klimaschutz in NRW ist, natürlich besonders. „Der Bau des zukunftsweisenden Thalia ,Omni-Channel-Hubs‘ stellt einen weiteren entscheidenden Meilenstein für eine erfolgreiche Transformation im nördlichen Ruhrgebiet dar“, sagte sie beim Spatenstich. Und: „Die Ansiedlung des Unternehmens Thalia unterstreicht, dass Innovation, Klimaneutralität und Nachhaltigkeit essenzielle Säulen für eine erfolgreiche Transformation unserer Wirtschaft bilden.“

Auch seltener bestellte Bücher sollen über Nacht gedruckt werden

Für die Buchbranche ist der Neubau aus einem ganz anderen Grund von großer Bedeutung. Denn Thalia will von Marl aus nicht nur seine Buchhandlungen beliefern, sondern auch selbst Bücher drucken, das Hagener Unternehmen plant hier eine eigene Digitaldruckerei für nicht so häufig georderte Büchern.

Zum einen ermöglicht Thalia damit jungen und unbekannten Autorinnen und Autoren, ihre Bücher auch ohne Verlag zu veröffentlichen. Bisher lag der Fokus hierbei auf dem Verkauf solcher Werke als E-Books über die konzerneigene Plattform Tolino. Künftig können diese Bücher auch im Laden oder online als gedruckte Ausgaben bestellt werden, die dann nach dem Print-on-Demand-Prinzip in Marl frisch gedruckt werden.

Zum anderen will Thalia auch Bücher von Verlagen selbst drucken, um eine schnellere Verfügbarkeit garantieren zu können. Erhält Thalia von einem Verlag die Lizenz zum Nachdrucken eines Buches, kann es je nach Bestell-Uhrzeit in der Regel am nächsten Tag in der Buchhandlung abgeholt werden, verspricht das Unternehmen. Zudem sei der Druck auf Bestellung auch nachhaltiger als auf Vorrat, sagte Konzernchef Kretschmar.

Grossisten schränken Lieferung am nächsten Tag ein

Das war jahrzehntelang eigentlich auch mit dem alten System über die Großhändler möglich. Die hielten in großen Lagern zumindest von den einigermaßen regelmäßig bestellten Büchern genügend Exemplare bereit, um die Buchhändler am Folgetag beliefern zu können. Doch durch die stark gestiegenen Kosten für Lagerflächen und die Transportlogistik geraten die Zwischenhändler zunehmend an ihre Grenzen, was die Verfügbarkeit am nächsten Tag beeinträchtigt.

Dass der Trend weg von gedruckten Büchern anhält, kommt hinzu. Die steigenden Kosten bei nach wie vor gedeckelten Buchpreisen drücken auf die Rendite der Grossisten, weshalb diese immer weniger selten abgerufene Titel einlagern. Das zog auch nach sich, dass die Grossisten manch kleinen Verlag ganz aus ihrem Programm gestrichen haben. Der Hamburger Großhändler Zeitfracht steuert zudem kleine Buchläden mit Bestell-Umsätzen unter 30.000 Euro im Jahr gar nicht mehr täglich an, sondern nur noch zweimal pro Woche.

Print-on-Demand machen inzwischen auch die Großhändler

Wegen der hohen Lagerkosten haben Grossisten wie Zeitfracht und Libri zuletzt selbst damit begonnen, auf Bestellung zu drucken. Das Hamburger Unternehmen Libri hat es erst Anfang 2024 zu seinem neuen Kerngeschäft erklärt. „Bücher drucken nach Bedarf, nicht auf Vorrat“, ist auch das neue Motto vom größten Grossisten Zeitfracht - sowohl für Autoren, die sich selbst vermarkten, als auch für Verlage.

Da dies offenkundig günstiger ist als riesige Lagerflächen zu unterhalten, hat Thalia nun beschlossen, es in Marl ebenfalls selbst zu machen. Als bundesweit größter Buchhändler mit knapp 400 Filialen in Deutschland und Österreich muss Thalia ohnehin eine eigene Logistik unterhalten, da lag es nahe, es den Grossisten gleichzutun. „Es ist offenkundig, dass sich Thalia damit in der wachsenden Digitaldruckbranche neben den bisherigen großen Playern Libri und Zeitfracht etablieren will“, glaubt Gewerkschafterin Marquardt.

Verdi sieht in Digitaldruck auf Bestellung auch Chance für kleine Druckereien

Wer sich durch die Verlagerung vom Vorratsdruck zu Print-on-Demand benachteiligt sieht, sind kleine Verlage und Druckereien. Thalias Einstieg in das Print-on-Demand-Geschäft würde seine „Marktmacht weiter verstärken“, warnt Verdi-Druckexpertin Marquardt. Damit stelle das Unternehmen zudem „eine starke Konkurrenz für traditionelle Druckereien dar, die bisher im Print-on-Demand-Geschäft aktiv sind“. Sowohl die Anzahl kleinerer und mittlerer Verlage als auch die der inhabergeführten Buchhandlungen gehe stetig zurück.

Thalia hält dagegen und betont stattdessen die Vorteile seines neuen Angebots gerade für kleinere Verlage. Sie könnten, indem sie Thalia die Druckrechte geben, die Kapazitäten des Branchenriesen nutzen, um ihre Bücher auch in kleineren Auflagen verkaufen zu können.