Bottrop. Jahrelanger Rechtsstreit über krebserregende Stoffe endet vor dem Landgericht Essen. Wann die Leute ihr Gemüse wieder essen können, bleibt offen.
Seit Jahren können Anwohner und Kleingärtner im Dunstkreis der Bottroper Kokerei ihr selbst angebautes Gemüse nicht mehr essen. Grund sind die Schadstoffe der vom Stahlriesen Arcelor Mittal betriebenen Kokerei, vor deren potenziell gesundheitsschädlicher Wirkung das Landesumweltamt (Lanuv) warnt. Jetzt hat sich der Weltkonzern vor dem Landgericht Essen im Rahmen einer Sammelklage von Anwohnern auf millionenschwere Entschädigungszahlungen geeinigt.
Viele Anwohner der früher der Ruhrkohle gehörenden Kokerei Prosper hatten Arcelor Mittal verklagt. Die auf Umweltrecht spezialisierte Anwaltskanzlei Kuhlmann aus Datteln, die sie vertreten hatte, teilte am Dienstag nach der entscheidenden Mediation in Essen mit, man habe sich geeinigt. „Wir haben eine Vielzahl konkreter Maßnahmen vereinbart, die deutliche und sichtbare Verbesserungen für die Anwohner bringen werden“, sagte Anwalt Daniel Kuhlmann unserer Redaktion. „Darüber hinaus werden unsere Mandanten finanziell entschädigt. Insgesamt wurde also ein Millionenpaket vereinbart.“
Arcelor Mittal: Alle Rechtsstreitigkeit zum Betrieb der Kokerei beendet
Auch bei Arcelor Mittal ist man froh über die Einigung. Das Unternehmen bestätigte auf Anfrage unserer Redaktion, damit seien „alle Rechtsstreitigkeiten zum Betrieb der Kokerei in Bottrop einvernehmlich beendet“ worden. Das Unternehmen habe sich mit den Betroffenen „auch finanziell für die Vergangenheit und Zukunft abschließend geeinigt“. Die Entschädigungssumme wollten beide Seiten nicht genauer beziffern. Das Geld wird unter den 60 Klägerinnen und Klägern aufgeteilt. Der Vertrag, auf den sich das Unternehmen und die Betroffenen geeinigt haben, soll am kommenden Montag unterzeichnet werden.
Mit Kokereirückständen belasteter Fein- und Grobstaub hat Obst und Gemüse im Süden der Stadt nach Daten des Landesumweltamtes spätestens seit 2018 derart mit potenziell krebserregenden Substanzen belastet, dass der Verzehr nach Überzeugung der Behörden gesundheitsschädlich gewesen wäre. Die Anwohner fürchteten um ihre Gesundheit und tun das noch. Denn nachgewiesen wurden überhöhte Mengen an Benzo(a)pyren (BaP) und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen ( PAK-4) in Grünkohl, den das Lanuv nahe der Kokerei Prosper seit 2018 extra für seine regelmäßigen Tests anpflanzt.
Bereits vor Jahren musste Arcelor Mittal auf Weisung der Bezirksregierung Nachbesserungen an den Kokereianlagen vornehmen, die erste und wichtigste war der Austausch der alten Kokereitüren. Die jeweils rund fünf Meter hohen Ofentüren verschließen die 146 schmalen, nebeneinander liegenden Ofenkammern, in denen bei rund 1000 Grad Celsius rund um die Uhr die Kohle zu Koks gebrannt wird. Die Türen waren undicht und wurden vor drei Jahren ausgetauscht. Dadurch und aufgrund einiger anderer Nachbesserungen sanken die Emissionen der Schadstoffe in der Luft, die Grenzwerte werden Arcelor Mittal zu folge seit Jahren wieder eingehalten.
Anwalt der Betroffenen: BaP-Belastungen sind bereits gesunken
Deshalb betonte auch Rechtsanwalt Kuhlmann bereits vor dem Mediationstermin, noch wichtiger als die Entschädigungszahlungen sei es, „dass auch dank unserer Klagen die Belastungen mit dem Verbrennungsgift Benzo[a]pyren reduziert wurden und jetzt die gesetzlichen Werte sogar deutlich unterschritten werden und gleich ein Bündel an Maßnahmen zur Senkung von Stäuben verhandelt wurden.“
Auch interessant
Allerdings, darauf weisen das Lanuv und die Stadt nach wie vor hin, heißt das nicht zwangsläufig, dass auch das in der Nähe der Kokerei angebaute Obst und Gemüse wieder bedenkenlos gegessen werden kann. Erst im vergangenen Herbst hatten die Lanuv-Messungen im Grünkohl erneut kritische Werte ergeben. Die Stadt erneuerte erst in diesem Frühjahr daher die Warnung vor dem Verzehr selbst angebauten Gemüses in mehreren Stadtvierteln nahe der Kokerei. Das Umweltdezernat bestätigte unserer Redaktion am Mittwoch, dass diese Verzehrwarnungen weiterhin gelten.
Kleingärtner: Für uns ist die Sache längst nicht ausgestanden
Entsprechend ist die Sache mit der Einigung vor Gericht auch für Kleingärtner wie Tim Kaprol längst nicht ausgestanden. „Hier pflanzt nach wie vor so gut wie keiner Salat oder Gemüse an, die Werte sind ja immer noch hoch, da hat sich nicht viel getan“, sagt er. Im Kleingärtnerverein Johannestal habe das Lanuv gerade erst die nächsten Grünkohl-Proben platziert. Aber etwas Gutes findet er in der Einigung doch, nämlich die vereinbarten weiteren Nachbesserungen an der Kokerei. „Ich hoffe, dass sich dadurch irgendwann die Werte so verbessern, dass wir wieder Salat pflanzen und essen können.“
Die bei Verbrennungsprozessen entstehenden PAK-Stoffe, zu denen auch die BaP zählen, gelten als krebserregend, über die Luft aufgenommen können sie zu Lungenkrebs führen, warnt das Landesumweltamt. Aber: „Auch nach oraler Aufnahme sind PAK wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen“, so das Lanuv. Besonders in Grünkohl und großblättrigen Salaten könnten sich PAK-Stoffe ansammeln, etwa in Spinat, Mangold, Feldsalat und Staudensellerie. Obst aus Gärten nahe der Kokerei solle vor dem Verzehr gut gewaschen werden.
Arcelor Mittal muss weitere Maßnahmen zur Senkung der Schadstoffe treffen
Was Arcelor Mittal jetzt noch für eine weitere Reduzierung der Schadstoffe zugesagt hat, erläuterten weder die Kanzlei Kuhlmann noch das Unternehmen. Es erklärte lediglich zugesagt zu haben, „bestimmte Maßnahmen zur Emissionsminderung durchzuführen, mit dem Ziel, im Umfeld der Kokerei die geltenden, strengen Grenz- und Zielwerte einzuhalten“. Dabei betonte der Stahlriese, die während der jahrelangen Rechtsstreitigkeiten „bereits teilweise eingeführten Maßnahmen zeigen, dass die geltenden, strengen Grenz- und Zielwerte sogar schon jetzt unterschritten werden“.