Berlin. Auszubildende sind für viele Betriebe billige Arbeitskräfte. Damit muss Schluss sein. Eine angemessene Bezahlung ist lange überfällig.

Berufsausbildungen können vieles sein: die Verwirklichung eines Lebenstraums, systemrelevant oder anstrengend. Eins sind sie aber in der Regel nicht: gut bezahlt. Dabei weiß jeder: Azubis sind die Fachkräfte von morgen. Und genau die werden heute schon händeringend gesucht. Mit schlechter Bezahlung während der Lehrlingsjahre macht man eine Berufsausbildung aber nicht attraktiver. Das muss sich ändern. Andernfalls ist der Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr.

Blickt man genauer auf die Zahlen, ergibt sich ein erschreckendes Bild. Seit 2020 gilt ein Mindestlohn für Azubis, der in den vergangenen Jahren leicht angestiegen ist. Dieses Jahr liegt er im ersten Lehrjahr bei gerade einmal 649 Euro, wer sich derzeit im zweiten Ausbildungsjahr befindet, verdient demnach mindestens 766 Euro, ein Azubi im dritten Lehrjahr bekommt momentan mindestens 876 Euro und im eher seltenen vierten Jahr schließlich 909 Euro. Zum Vergleich: Der monatliche Brutto-Durchschnittsverdienst für Vollzeitbeschäftigte lag 2023 hierzulande laut Statistischem Bundesamt bei 4479 Euro.

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Natürlich verdienen nicht alle Azubis nur den Mindestlohn. Nach Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) verdienten Auszubildende im vergangenen Jahr im Schnitt 1066 Euro pro Monat. Doch auch mit diesem Gehalt ist es schwierig bis nahezu unmöglich, sich eine eigene Wohnung zu leisten – geschweige denn ein Auto oder Abo für die öffentlichen Verkehrsmittel, um zur Arbeit zu kommen, und trotzdem noch genug zum leben zu haben.

Wenn all das nicht geht und junge Menschen auf Lehrjahre voller persönlichen Abstriche blicken – warum sollten sie sich für eine Berufsausbildung entscheiden? Fast wundert es da nicht mehr, dass vergangenes Jahr gut 70.000 Ausbildungsplätze frei blieben.

Azubis sind ein Faktor, um die Fachkräftelücke zu schließen

Auf der anderen Seite bedroht Deutschland der Fachkräftemangel. Wie das Institut der deutschen Wirtschaft Köln jüngst mitteilte, lag die Fachkräftelücke 2023 mit knapp 470.000 offenen Stellen, für die es keine passend qualifizierten Arbeitssuchenden gibt, auf einem sehr hohen Niveau. Im Umkehrschluss bedeutet das: Es gäbe also durchaus mehr als genügend Stellen, um junge Leute in Arbeit zu bringen. Sie müssen nur attraktiv genug sein.

Nina Kugler ist Wirtschaftsredakteurin in der FUNKE Zentralredaktion.
Nina Kugler ist Wirtschaftsredakteurin in der FUNKE Zentralredaktion. © Funke Foto Services | Maurizio Gambarini

Bestes Beispiel: die Fluglotsen. Auf die Ausbildungsplätze dort gibt es jedes Jahr einen regelrechten Run. Wie die Deutsche Flugsicherung (DFS) auf Anfrage mitteilte, bewerben sich auf diese Ausbildung im Schnitt 7000 Bewerber – 140 werden am Ende eingestellt. Der Grund: sicherlich auch das sehr gute Gehalt. Fluglotsen starten mit einem Verdienst von rund 1000 Euro in ihre Ausbildung, landen nach dem theoretischen Teil ihrer Lehre, also nach ein bis anderthalb Jahren, schnell beim Drei- bis Vier-, in Sonderfällen sogar beim Fünffachen.

Azubis dürfen nicht als billige Vollzeitkräfte gesehen werden

Dass das nicht jeder Handwerksbetrieb zahlen kann, ist klar. Aber es darf auch nicht mehr an der Tagesordnung sein, Azubis als billige Vollzeitarbeitskräfte zu sehen. Denn sie werden ohnehin schon strukturell benachteiligt. Beispiel gefällig? Studenten bekommen seit diesem Sommer das Deutschlandticket vergünstigt für knapp 30 Euro, Azubis müssen hingegen noch immer den vollen Preis zahlen – es sei denn, der Ausbildungsbetrieb steuert etwas bei.

Mit 649 Euro Mindestlohn für Azubis und ohne weitere attraktive Bonusleistungen wird es Deutschland schwer haben, das Ausbildungs- und Fachkräfteproblem zu beheben. Es muss mehr Geld bezahlt werden. Aus den Lehrjahren müssen endlich Herrenjahre werden!