Essen. Der Essener Chemiekonzern Evonik will sich von Geschäften mit großen Belegschaften in NRW trennen. Finanzchefin Maike Schuh drückt aufs Tempo.
Der Essener Chemiekonzern Evonik treibt den Verkauf umsatzstarker Geschäfte mit großen Belegschaften in NRW voran. So will sich der Vorstand um Konzernchef Christian Kullmann unter anderem vom Geschäft mit Produkten für die Babywindel-Herstellung trennen. Der Verkaufsprozess für das sogenannte „Superabsorber-Geschäft“ laufe, berichtet die neue Evonik-Finanzchefin Maike Schuh. Ein Käufer soll innerhalb weniger Monate gefunden werden. „Wir streben eine Unterschrift in diesem Jahr an“, sagte Schuh vor Journalisten in Essen. In dem Bereich arbeiten Unternehmensangaben zufolge rund 1000 Beschäftigte weltweit, etwa die Hälfte davon in Krefeld. Der Umsatz des Superabsorber-Geschäfts liege bei jährlich rund 900 Millionen Euro.
Noch größer ist ein weiteres Geschäft, das auf der Verkaufsliste des Vorstands steht: der sogenannte C4-Verbund, der in der Konzernbilanz bisher für rund zwei Milliarden Euro steht – mehr als ein Zehntel des gesamten Umsatzes von Evonik. „Auch für die C4-Chemie ist unser Zeitplan, dass wir uns in diesem Jahr mit einem Käufer einigen möchten“, berichtet Schuh. In der C4-Chemie arbeiten ihren Angaben zufolge
etwa 1000 Beschäftigte. Insbesondere am nordrhein-westfälischen Standort Marl spielt das Geschäft eine bedeutende Rolle, außerdem im belgischen Evonik-Werk Antwerpen. „Zeitdruck haben wir nicht. Einen Verkauf unter Wert wird es mit uns nicht geben“, betont die Managerin, die erst seit wenigen Tagen das wichtige Finanzressort im Konzern führt.
Die Produkte des für C4-Chemikalien zuständigen Geschäftsgebietes „Performance Intermediates“ sind nach Darstellung des Unternehmens die Grundlage vieler Anwendungen im Alltag. Überwiegend gehe es um Kunststoffe und Beschichtungen, zum Beispiel in Autos sowie im Wohn- und Freizeitbereich. Hinzu kämen Kautschuk, Schmierstoffe, Benzinzusätze, Kosmetika oder Lösemittel in der pharmazeutischen und chemischen Industrie. Endprodukte der Evonik-Kunden seien beispielsweise Autoreifen, PVC-Fußböden, Sportflaschen oder Lebensmittelverpackungen. „Generell gilt: Unser Fokus liegt auf Produkten der Spezialchemie, die höhere Margen versprechen als Massengeschäfte“, begründet Evonik-Finanzchefin Schuh die geplanten Firmenverkäufe.
Der Evonik-Konzern bündelt seine Geschäfte in vier Divisionen rund um Produkte für die Pharma-, Kosmetik- und Ernährungsindustrie („Nutrition & Care“), Werkstoffe („Smart Materials“), Additive für die industrielle Anwendung („Specialty Additives“) sowie rohstoff- und energieintensive Basischemie („Performance Materials“). Als „Wachstums-Divisionen“ betrachtet Vorstandschef Kullmann die drei zuerst genannten Bereiche. „Wenn wir das Superabsorber-Geschäft und die C4-Chemie abgegeben haben, ist die Sparte Performance Materials – wie geplant – aufgelöst“, sagt Finanzchefin Schuh.
Beschäftigungsgarantie bei Evonik bis 2032
Mit Blick auf Superabsorber für Babywindeln sagt die Managerin: „Das Geschäft passt nicht mehr zu unserer Ausrichtung als Spezialchemiekonzern.“ Der Vorstand sondiere gerade das Interesse bei potenziellen Käufern. „Infrage kommt die gesamte Bandbreite möglicher Investoren – von Unternehmen aus der Branche bis zu Finanzinvestoren“, sagt Maike Schuh. „Wir haben bei Evonik eine Beschäftigungsgarantie bis 2032. Entsprechende Vereinbarungen streben wir auch mit einem möglichen Käufer an.“
Angesichts des schwierigen Marktumfelds will der Evonik-Vorstand die Kosten im Konzern spürbar senken. „Unser Fokus für 2023 ist: Kosten runter“, betont Finanzchefin Schuh. „Wir streben für das laufende Jahr Einsparungen von 250 Millionen Euro an.“ Es gehe dabei um ein Bündel von Einsparpotenzialen. „Freiwerdende Stellen besetzen wir nicht direkt nach. Teilweise verschieben wir auch Instandhaltungen von Anlagen. Wir verzichten auf Dienstreisen und senken auch unsere Beraterkosten. Klar ist: Die Kosten verringern wir ohne betriebsbedingte Kündigungen.“
Zehn Jahre nach dem Börsengang – Unzufriedenheit mit Aktienkurs
Rund zehn Jahre nach dem Börsengang von Evonik zeigt sich die neue Finanzchefin unzufrieden mit der Bewertung des Konzerns am Kapitalmarkt. „Im Augenblick ist der Aktienkurs einfach nicht befriedigend“, räumt Maike Schuh ein. Im April 2013 war Evonik mit 33 Euro an der Börse gestartet – jetzt liegt der Aktienkurs knapp unter 20 Euro. „Wenn wir hart an unserer Wachstumsstrategie und Margenverbesserungen arbeiten, wird sich auch unsere Bewertung an der Börse verbessern“, sagt die Managerin dazu.
Das Unternehmen müsse sich aber verbessern, betont sie. „Die Zahlen sind 2023 zu schwach gemessen an dem Niveau, das wir als Spezialchemiekonzern dauerhaft anstreben.“ Evonik habe sich das Ziel gesetzt, eine Gewinn-Marge („Ebitda-Marge“) von 18 bis 20 Prozent zu erreichen. „Mit 14 Prozent sind wir im laufenden Jahr schon ambitioniert, langfristig ist das aber zu wenig“, sagt Maike Schuh. „Für das schwierige Jahr 2023 haben wir uns ambitionierte Ziele gesetzt. Klar ist aber auch: Ab 2024 müssen wir bei Gewinn und Kapitalrendite wieder deutlich besser werden. Auf dem aktuellen Niveau entsprechen sie nicht dem, was wir uns dauerhaft vornehmen und was man von Spezialchemiegeschäften erwarten muss.“
Mehrheitlich gehört Evonik der RAG-Stiftung, die auf dem Essener Welterbe-Areal Zollverein residiert. Aufgabe des Stiftungskonzerns ist es, Geld für die Ewigkeitskosten des Steinkohlenbergbaus zu erwirtschaften. Evonik war in den vergangenen Jahren ein verlässlicher Dividenden-Lieferant. Stiftungschef Bernd Tönjes ist auch Evonik-Aufsichtsratschef.
„Ich bin keine Quoten-Frau“
Das Aktionärstreffen am 31. Mai will Evonik wieder einmal nur digital ausrichten, ohne Präsenzveranstaltung. „Wir planen erneut eine virtuelle Hauptversammlung“, sagt Finanzchefin Schuh. „Ein großer Vorteil ist, dass sich unsere Aktionäre einfach zuschalten können – ohne Anreise.“
Die Managerin, die nun eine zentrale Aufgabe im Konzern übernimmt, arbeitet schon seit einigen Jahren im Unternehmen. „Die Aufgabe Finanzvorstand ist riesig bei Evonik“, sagt die Managerin, die auf die langjährige Finanzchefin Ute Wolf folgt. Sie wolle einen eigenen Führungsstil entwickeln, betont Maike Schuh. Ein Beispiel: „Ich habe irgendwann gesagt: Keine Powerpoint-Präsentationen mehr. Meine Leute sollen Mehrwert schaffen, keine Folien auflegen. Das ganze Foliengemale brauche ich nicht.“ Sie fühle sich im Übrigen nicht als „die Frau im Vorstand“, sagt Maike Schuh. „Ich bin keine Quoten-Frau.“ Sie glaube allerdings, dass sie als „Rollenmodell“ dienen könne für junge Frauen, die sagen: „Hey, ich traue mir das auch zu.“