Ruhrgebiet. Trotz vieler Initiativen und Fördertöpfen geht es mit den Innenstädten des Ruhrgebiets in diesem Jahr weiter bergab. Tausende Pleiten befürchtet.
Das Ladensterben macht den Innenstädten im Ruhrgebiet seit vielen Jahren zu schaffen. Neben den allgegenwärtigen Ketten und Ramschläden tun sich kleine, eigenständige Händler immer schwerer, die hohen Mieten in den guten Lagen zu bezahlen. Und die Eigentümer der City-Immobilien tun sich schwer, die Mieten zu senken und damit ihre Gebäude, nicht selten reine Geldanlagen, zu entwerten. Die Sensibilität für dieses Thema ist in Kommunen, Land und Bund deutlich gewachsen, die Zahl der Leerstände allerdings auch. Entsprechend lobt der Handelsverband NRW etwa die Innenstadtoffensive des Landes – rechnet für das laufende Jahr aber damit, dass es zunächst noch schlimmer wird.
„Wir müssen uns auf weitere Schließungen in diesem Jahr einstellen,“ sagt Rainer Gallus, Geschäftsführer des Handelsverbands NRW und Experte für Standortfragen, im Gespräch mit unserer Zeitung. Der Handel werde von der Rekordinflation und der Energiekrise doppelt getroffen – weil seine eigenen Kosten steigen und gleichzeitig die Leute aus demselben Grund weniger kaufen.
Im Ruhrgebiet Hunderte Läden in Gefahr
Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat jüngst die Aufgabe von weiteren 9000 Läden im laufenden Jahr prognostiziert – vor allem kleinerer Geschäfte in den Innenstädten. Da in NRW fast ein Viertel des bundesweiten Handelsumsatzes erzielt wird, dürften im bevölkerungsreichsten Bundesland gut 2000 Händler aufgeben, erwartet der Handelsverband NRW. Rein statistisch träfe es auch mehrere Hundert Geschäfte im Ruhrgebiet.
Weil sich die Lage zusehends verschlimmert, steht die Rettung der Innenstädte längst im Fokus der Politik, nicht nur in den betroffenen Kommunen. Die von der schwarz-gelben Landesregierung begonnene und mit 100 Millionen Euro unterfütterte Innenstadtoffensive ist gerade von Schwarz-Grün mit einer 35 Millionen Euro schweren Neuauflage verlängert worden. „Da passiert viel und das Sofortprogramm hat wirklich geholfen“, lobt Gallus, dessen Verband in das Förderprojekt involviert ist. Kommunen werden mit Landesmitteln unterstützt, etwa um leerstehende Läden zu vermitteln und dabei einen Teil der Miete zu übernehmen.
Diese Initiative haben auch die Revierstädte genutzt, allerdings mit gemischtem Erfolg. Essen etwa hat nur die Hälfte der möglichen Landesgelder abgerufen, muss rund 1,6 Millionen Euro, die für die Aufwertung und Belebung der Innenstadt gedacht waren, liegen lassen. Die Vermittlung war vor allem für die Limbecker, eine der Haupteinkaufsstraßen in der City, schwieriger als gedacht. Einige neue Händler, die mit der Landes-Starthilfe einen Laden eröffneten, haben zudem wieder aufgegeben. Diese Erfahrung haben fast alle Städte gemacht, auch Bottrop und Gelsenkirchen.
Revierstädte ließen viele Fördergelder liegen
Mülheim hat sogar nur ein Viertel der möglichen Fördersumme abgerufen, Oberhausen ließ 730.000 Euro liegen und betonte in der Begründung ein weiteres Problem: Man sei wegen der Personalnot im Rathaus mit der Abarbeitung der zu fördernden Projekte nicht schnell genug vorangekommen. Im Ergebnis haben die bisherigen Initiativen nur einen noch steileren Absturz der Innenstädte verhindert, ihn aber nicht aufgehalten.
Alle Städte kommen spätestens dann an ihre Grenzen, wenn Eigentümer Leerstände bewusst auch längere Zeit hinnehmen, in der Hoffnung, nicht allzu sehr mit der Miete heruntergehen zu müssen. Der jüngste Preisspiegel des Immobilienverbands IVD zeigt, dass die City-Mieten in den meisten Revierstädten noch stabil sind. In manchen bröckeln sie jedoch bereits, etwa in Dortmund, Herne und Duisburg.
Dies freilich auf höchst unterschiedlichen Niveaus, was viel über die Attraktivität der Citys in den mittelgroßen Revierstädten aussagt. In Dortmund müssen in 1a-Lagen Betreiber kleinerer Läden aktuell im Schnitt 185 Euro je Quadratmeter Verkaufsfläche zahlen, immerhin 15 Euro weniger als noch 2022. Wer große Flächen anmietet, ist mit 105 Euro dabei, fünf weniger als im Vorjahr. Da neben dem Kaufhof am Westenhellweg weitere Gebäude wie das der 2021 geschlossenen Mayersche großteils leer stehen, klingt das noch moderat.
Ladenmieten in Herne, Dortmund und Duisburg gesunken
In Herne kostet der Quadratmeter in den besten Lagen ganze 18,50 Euro Miete, 2022 waren es noch 20 Euro. In den äußeren Bereichen der Innenstadt (Nebenkern) brach die Durchschnittsmiete laut IVD-Preisspiegel um gut 20 Prozent auf nur noch 3,70 Euro ein. Gelsenkirchen zählt mit 80 Euro in 1a-Lagen noch zu den teureren Innenstädten im Ruhrgebiet, die Mieten sind zuletzt sogar leicht gestiegen, obwohl sich die Leerstände häufen. Nun drohen mit Galeria Karstadt und Primark auch noch zwei der letzten Flaggschiffe zu schließen.
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Dem Handelsverband zufolge braucht jede Stadt einen Innenstadtmanager, wie es ihn in jedem Einkaufszentrum gibt. Er achtet auf einen guten Sortiments-Mix, ein angenehmes Umfeld und gastronomische Vielfalt. Für eine ganze Innenstadt fällt das natürlich ungleich schwerer, weil es nicht einen, sondern Hunderte Eigentümer gibt, die sich zwar alle eine lebendige Innenstadt wünschen, aber nicht alle gleich viel dafür zu tun bereit sind. Zum Beispiel Handelsflächen in oberen Etagen in Wohnraum umzuwandeln, der dann für deutlich weniger Geld, aber immerhin wieder vermietet werden könnte.
Hörsäle von der Uni in die City?
„Die Innenstadt muss wieder zum lebendigen Treffpunkt für soziales Miteinander werden, mit einladenden Plätzen, mehr Gastronomie, kulturellen Einrichtungen und Wohnungen“, sagt Standortmanager Gallus vom Handelsverband NRW. Etwa so umschreiben die meisten ihre Idealvorstellung von der City der Zukunft.
Dafür setzen die Universitätsstädte auch darauf, dass ihre Hochschulen einen Teil ihrer Vorlesungs- und Seminarräume in die Innenstädte verlagern, dafür leerstehende Räume anmieten. Zum Beispiel verwaiste Büroräume, von denen es nach dem Durchbruch des Homeoffice in der Corona-Pandemie einige im Ruhrgebiet gibt.
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„Die Universitäten platzen aus allen Nähten. Die Gebäude sind alt. Warum entsteht ein Vorlesungszentrum nicht in einem ehemaligen Handelsgebäude?“, fragte etwa Duisburgs Wirtschaftsförderer in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Diese Idee hatte auch die Stadt Dortmund für seine großen Leerstände am Westenhellweg. Die Technische Universität (TU) bestätigte unserer Zeitung, seit einiger Zeit „Gespräche mit Vermietern verschiedener Kaufhaus-Immobilien in der Innenstadt“ zu führen. Bisher allerdings ohne Erfolg.