Essen. Die Angst vor der vierten Corona-Welle bereitet Unternehmen wie Gewerkschaften Sorge. Sie appellieren an die Beschäftigten, sich impfen zu lassen.
Die Wirtschaft erholt sich zusehends von den Folgen der Pandemie, doch zugleich wächst die Sorge vor der vierten Infektionswelle. Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und die Konzerne richten daher immer dringlichere Appelle an die Beschäftigten, sich impfen zu lassen. Durch Privilegien für Geimpfte und Genesene erhöhen manche bereits den Druck auf die Ungeimpften, sich doch noch immunisieren zu lassen. Auch wenn die Politik verspricht, es werde keinen weiteren Lockdown geben, befürchten viele Unternehmen, dass die in Deutschland um sich greifende Impfmüdigkeit die Rückkehr zur Normalität verzögert.
„Unsere klare Haltung zum Thema impfen ist: Jeder, der sich impft, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Damit gilt auch: Mehr Normalität gibt es nur mit mehr Geimpften. Ich setze darauf, dass sich diese Einsicht durchsetzt“, sagte Thyssenkrupp-Personalchef Oliver Burkhard unserer Redaktion. Zwar sei die Gesundheit Privatsache der Beschäftigten. „Trotzdem haben wir allein in Deutschland 13.000 Mitarbeitende geimpft“, so Burkhard.
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In NRW hatte Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff im Interview mit unserer Zeitung den Ton vorgegeben: Er sei gegen eine Impfpflicht, sagte er, betonte aber: „Wir werden eine Impfpflicht durch die Hintertür erleben.“ Wer noch voll am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wolle, werde an der Impfung nicht vorbeikommen. Es werde auch Firmen geben, die ihren Mitarbeitern sagen: „Wenn Du kein Impfzertifikat vorlegst, wird es auf Dauer schwierig mit unserer Zusammenarbeit.“ Kirchhoff erklärte zudem, es könne keine Daueraufgabe der Arbeitgeber sein, „Impfmuffel kostenlos zu testen“. Die Politik schafft die Gratis-Corona-Tests für alle Bürgerinnen und Bürger Mitte Oktober ab.
Unternehmerverband: Impfen direkt am Arbeitsplatz oder in der Kantine
„Jede Impfung zählt“, meint auch Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmensverbandes. Er ruft die rund 500 Mitgliedsunternehmen seines Verbandes dazu auf, „beim Thema Betriebsimpfungen nicht müde zu werden“. Unentschlossene könnten am besten mit Impfangeboten direkt am Arbeitsplatz oder in der Kantine überzeugt werden, Impfstoff sei genügend vorhanden. Wer keinen eigenen Betriebsarzt habe, solle seine Mitarbeiter für Impfungen von der Arbeit freistellen und bei möglichen Nebenwirkungen großzügig reagieren, rät Kanders.
Leonhard Birnbaum, Chef des Dax-Konzerns Eon, appelliert ebenfalls an alle ungeimpften Beschäftigten, den Piks nachzuholen. „Ich finde es wichtig, dass möglichst alle Eon-Mitarbeiter geimpft sind. Ich sehe das als Dienst an unserer Gesellschaft“, sagte Birnbaum dem Manager Magazin. Seit Anfang Juni haben sich in der Essener Zentrale des Energieversorgers fast 1000 Beschäftigte impfen lassen, teilt der Konzern mit, der an allen Standorten Impfungen durch Betriebsärzte anbot. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insgesamt geimpft sind, werde aber nicht erfasst, erklärt ein Konzernsprecher.
Alltours: 95 Prozent unserer Beschäftigten sind geimpft
Der Düsseldorfer Reiseveranstalter Alltours nennt dagegen eine Zahl, auf die er auch stolz ist: „Bis Ende August werden auch die Zweitimpfungen abgeschlossen sein. Dann sind über 95 Prozent der Alltours-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter geimpft oder genesen“, erklärte das Unternehmen jüngst. Impfangebote habe es in der Düsseldorfer Zentrale, aber auch in den Reisebüros sowie bei Reiseleitern und Animateuren mehrmals wöchentlich gegeben, die Resonanz sei „ausgesprochen positiv“ gewesen.
Trotz der hohen Impfquote hält der Pauschalreisen-Anbieter weiter an den wichtigsten Corona-Regeln, etwa in Sachen Hygiene, fest, will zudem auch Geimpfte und Genesene weiter zweimal wöchentlich testen. Doch Personalchef Kai Grefling hat angekündigt, einige Corona-Beschränkungen „für Geimpfte und Genesene bald weiter zu lockern“. Diese Kolleginnen und Kollegen sollten „sich wieder freier im Haus bewegen und beispielsweise auch unsere Kantine nutzen können“, so Grefling.
RKI: Noch weit von Herdenimmunität entfernt
Der Stromerzeuger RWE hat „mehr als 5000 Beschäftigte und mehr als 650 Angehörige“ von seinen Betriebsärzten impfen lassen. „Wir fordern aktiv zum Impfen auf – jeder Pieks zählt“, sagt ein Konzernsprecher. Um Sorgen vor Nebenwirkungen aufzugreifen, biete RWE auch reine Beratungsgespräche bei den Betriebsärzten an.
Nachdem im Frühsommer die Impfkampagne in Deutschland Fahrt aufgenommen hatte, bleiben inzwischen viele Dosen in den Impfzentren und Praxen liegen. Bei aktuell 59 Prozent vollständig Geimpften ist Deutschland nach Meinung des Robert-Koch-Instituts (RKI) noch weit von der angestrebten Herdenimmunität entfernt. Für sie müssten sich nach Angaben führender Virologen 85 Prozent der Bevölkerung impfen lassen.
Das hat auch die Tarifpartner der Metall- und Elektroindustrie, mit knapp vier Millionen Beschäftigten Deutschlands größte Industriebranche, alarmiert. Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann und Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf appellieren gemeinsam an alle Beschäftigten ihrer Branche: „Nehmen Sie – egal wo – die Impfangebote an. Ob in den Impfzentren, beim Hausarzt oder im Betrieb – jede Impfung zählt! Nur wenn wir schnell eine hohe Impfrate erreichen, können wir eine drohende vierte Welle verhindern und die Rückkehr zur Normalität entscheidend beschleunigen.“ Sich impfen zu lassen, sei „auch ein Akt der Solidarität“.
Gegen Impfpflicht, aber für solidarisches Verhalten
Eine Impfpflicht fordern die Verbände und Gewerkschaften nicht. Es gebe schließlich auch Angestellte, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können“, erklärte etwa der Essener Unternehmerverband. „Aber gerade um diese Kollegen zu schützen und dennoch in einer Vor-Corona-Normalität leben zu können, braucht es den angestrebten Gemeinschaftsschutz“, betonte Geschäftsführer Kanders. Das solle im Kollegenkreis immer wieder thematisiert werden.