Essen. Uniper beantragt Staatseinstieg und Kredithilfe. In Rede stehen bis zu neun Milliarden Euro. Konzern will mit Kunden über Preiserhöhungen reden.
Ohne den größten Gashändler droht dem deutschen Energiesystem der Kollaps, befürchten Politik und Wirtschaft. Deshalb bereitet die Bundesregierung Milliardenhilfen für den Düsseldorfer Uniper-Konzern vor, mit einiger Wahrscheinlichkeit steigt der Staat auch direkt ein. So wie in der Finanzkrise 2008 bei der Commerzbank und in der Corona-Pandemie 2020 bei der Lufthansa. Die Entscheidung steht noch aus, diskutiert werden eine Finanzspritze von bis zu neun Milliarden Euro und eine Staatsbeteiligung von bis zu 30 Prozent.
Der MDax-Konzern hatte um Hilfe gerufen, nachdem Russland seine Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 Mitte Juni gedrosselt hat. Bei Uniper als größtem Kunden des Staatskonzerns Gazprom kamen seitdem nur noch 40 Prozent der zugesagten Liefermenge an. Um seine Lieferverpflichtungen einzuhalten, muss der Großhändler seitdem Gas zu den extrem hohen Tagespreisen zukaufen, kann das aber nicht an die örtlichen Versorger, vor allem Stadtwerke, weiterreichen. In dieser Zwickmühle verliert das Unternehmen nach Branchenschätzungen wöchentlich eine dreistellige Millionensumme.
Nachdem Bundestag und Bundesrat mit einer Änderung des Energiesicherheitsgesetzes kurzfristige Hilfen für Gasversorger erleichtert haben, stellte Uniper noch am Freitag bei der Bundesregierung einen Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen nach den neuen Regelungen. Dazu gehört eine Aufstockung des bereits im Januar gewährten Zwei-Milliarden-Euro-Kredits der staatlichen KfW-Bank. Der Vorschlag enthalte aber auch „Eigenkapitalkomponenten, die zu einer relevanten Beteiligung des Bundes an der Uniper SE führen würden“, heißt es in der Mitteilung.
Uniper muss jetzt schon Gas aus seinen Speichern nehmen
Am Nachmittag kündigte Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach an, Uniper werde „bereits in der kommenden Woche“ auf seine Kunden zugehen und über „deutliche Preiserhöhungen“ reden. Zudem müsse Uniper womöglich auch Lieferkürzungen vornehmen, wo das möglich sei. Dies müsse aber immer „das letzte Mittel“ sein. Maubach ist besorgt über die Versorgung im kommenden Winter. Die Gasspeicher in Deutschland seien aktuell zu 63 Prozent gefüllt, die von Uniper nur zu 54 Prozent. Weil an denen auch andere Gashändler Bezugsrechte haben, stünden Uniper an eigenen Speicherkapazitäten nur noch 40 Prozent zur Verfügung.
Und: „Wir müssen möglicherweise bereits ab der kommenden Woche Gas aus unseren Speichern entnehmen, um laufende Verträge erfüllen zu können“, sagte der Uniper-Chef. Eigentlich müssten die Gasspeicher in diesem Sommer gefüllt werden, damit es im Winter genügend Vorräte gibt. Ob das jetzt überhaupt noch möglich sei, hänge „entscheidend davon ab, wie sich die Liefermengen durch Nord Stream 1 entwickeln“, sagte Maubach auf Nachfrage unserer Redaktion.
Auch die Leipziger EnBW-Tochter VNG soll gestützt werden
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat mehrfach durchblicken lassen, er werde Uniper nicht pleite gehen lassen. Auch die Leipziger EnBW-Tochter VNG, drittgrößte Gasimporteurin, soll gestützt werden – in Rede steht eine Bürgschaft von bis zu zwei Milliarden Euro. Habeck befürchtet sonst eine fatale Kettenreaktion. Er hat dafür den Vergleich mit der Pleite der Lehman-Bank 2008 bemüht, die eine weltweite Finanzkrise nach sich zog. Einen „Lehman-Effekt“ im deutschen Energiesystem will er unbedingt verhindern. Die Frage ist nur noch, wie?
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Und die Antwort ist viel komplizierter als Außenstehende denken könnten. Denn Uniper braucht nicht einfach ein paar Milliarden, sondern vor allem eine Perspektive, nicht mehr mit jeder gelieferten Kilowattstunde weiteres Geld zu verlieren – sonst blutet das Unternehmen aus. Deshalb ist es aus Konzernsicht entscheidend, entgegen bestehender Preisgarantien in den Verträgen die steigenden Beschaffungskosten an die Kunden weitergeben zu können. Da bei vielen Endkunden die gestiegenen Preise noch gar nicht angekommen seien, mahnt Uniper-Chef Maubach eindringlich zu sparen und vorzusorgen. Denn klar sei: „Es rollt eine sehr, sehr große Preiserhöhungswelle auf die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher zu.“
Uniper: „Sehr, sehr große Preiserhöhungswelle“
Sollte der Bund Uniper dies erlauben, wäre das eine schlechte Nachricht für alle Endverbraucher – Unternehmen wie Privathaushalte. Uniper könnte die Abnahmepreise etwa der Stadtwerke binnen Tagesfrist deutlich erhöhen, was diese wiederum nach nur einer Woche an ihre Endkunden weiterreichen dürften. Ein Dominoeffekt droht freilich auch, wenn Uniper pleite ginge und nicht mehr liefern könnte, nur würden dann nicht die Preise steigen, sondern kein Gas mehr ankommen.
Für die Weitergabe der Preise gibt es seit Freitag aber zwei Möglichkeiten: Entweder darf Uniper die Kosten an seine Kunden weitergeben. Als neu geschaffene Alternative könnte die Regierung auch eine Umlage auf alle Gaskunden in Deutschland aktivieren, was viele favorisieren. Er habe da keine Präferenz, versicherte Maubach, „wichtig ist nur, dass eine der beiden Möglichkeiten möglichst schnell“ aktiviert werde.
Zu einem gewissen Teil, das scheint auch klar, wird Uniper auch weiter auf seinen Verlusten sitzen bleiben. Um die anhaltenden Verluste von Uniper aufzufangen, braucht der Konzern demnach auch erhebliche Hilfsgelder vom Staat. Wie viel, hängt stark davon ab, ob die explodierenden Importpreise per Umlage auf alle oder nur auf die Uniper-Kunden durchgereicht werden. Zudem gilt es die für Gaslieferungen zu hinterlegenden Sicherheiten zu finanzieren. Seit Kriegsbeginn müssen die Gasversorger deutlich höhere Summen für den Fall zurücklegen, dass Lieferungen ausfallen.
Bovenschulte: Neun Milliarden Euro für Uniper möglich
Wie viel Geld Uniper braucht? Finanzkreise spekulierten laut „Handelsblatt“ bisher über drei bis fünf Milliarden Euro. Der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) nannte an diesem Freitag im Bundesrat die Summe von neun Milliarden Euro. Ob und wie stark der deutsche Staat auch einsteigt, ist ebenfalls keine leichte Frage, denn Uniper gehört zu 78 Prozent dem finnischen Fortum-Konzern, der wiederum mehrheitlich dem finnischen Staat gehört. Fortum hatte Uniper bereits acht Milliarden zugeschossen. Diese seien bereits „fast vollumfänglich“ aufgebraucht, erklärte Fortum am Freitag. Maubach erklärte, Fortum habe sich „bereits über die Maßen engagiert“.
So kompliziert die Rettungsaktion auch wird: Berlin muss bald handeln, denn am 11. Juli beginnt Gazprom mit den jährlichen Wartungsarbeiten an Nord Stream 1, dann fließt stets etwa zehn Tage lang gar kein Gas mehr durch die Leitungen am Meeresgrund an die ostdeutsche Küste. Die Sorge nicht nur der Bundesregierung ist, dass die Russen diesmal den Gashahn aber gar nicht mehr aufdrehen, Habeck vermutet schon für die Drosselung im Juni politische Motive aus dem Kreml, Putin benutze sein Gas als Kriegswaffe. Uniper-Chef Maubach betonte, er habe „die Hoffnung, dass nach der Wartung wieder in vollem Umfang geliefert wird“. Allerdings sei die aktuelle Lieferdrosselung nicht mit technischen Problemen zu erklären, wie es Gazprom auch gegenüber Uniper tue.
Die Erwartung nahender Staatshilfe hat zumindest den freien Fall der im MDax notierten Uniper-Aktie vorerst gestoppt: Vor Kriegsbeginn war das Papier noch gut 36 Euro wert, seit Ende Februar stürzte es unter die Zehn-Euro-Marke ab, drehte am Freitag zumindest leicht ins Plus und stieg auf über elf Euro.