Essen. Gastronomen freuen sich über großen Andrang. Doch jetzt fehlt ihnen das Personal, den Ansturm zu bewältigen. Wo die Kellner geblieben sind.

Zwischen den Bäumen präsentiert sich talwärts der Baldeneysee, die Segel sind winzig von hier oben. Der Blick ist phantastisch, der Biergarten voll. Nur braucht das Bier ein wenig länger, bis es von der Kellnerin durch den Garten getragen wird. Nach dem Ende des Lockdowns und der langen Durststrecke werden die Außengastronomien überrannt, auch drinnen füllen sich die Gasträume wieder. Viele Betriebe sind mit dem Ansturm mehr oder weniger überfordert. Denn die Pandemie hat das schon vor Corona wachsende Personalproblem dramatisch verschärft. Tausende Servicekräfte und Köche wechselten auf der Suche nach mehr Sicherheit die Branche. Die Sorge ist groß, dass die meisten nicht mehr zurückkehren.

Meist haben die Beschäftigten selbst gekündigt

Dabei war das Gastgewerbe in NRW vor der Pandemie ein echter Jobmotor – von 2009 bis 2019 stieg die Zahl der Beschäftigten um mehr als ein Drittel auf 415.000 an. In den ersten Pandemie-Monaten verlor die Branche wieder mehr als 50.000 Kräfte im Service und in der Küche. Das wäre in der ohnehin saisonal sehr schwankenden Branche noch kein unlösbares Problem. Doch laut einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) NRW waren es meist die Beschäftigten, die von sich aus kündigten. Demnach trennte sich jeder vierte Betrieb (27 Prozent) aus wirtschaftlichen Gründen von Beschäftigten, doch mit 54 Prozent verloren doppelt so viele Restaurants, Cafés und Hotels Personal, das aus freien Stücken ging.

Die große Frage ist nun, ob zumindest ein Teil zurückkommt. Von denen, die selbst gekündigt haben, sei fast jeder zweite (45 Prozent) in eine andere Branche gewechselt, gaben die Betriebe in der Dehoga-Umfrage an. „Viele Kellnerinnen sehe ich jetzt an der Supermarktkasse sitzen“, sagt Stefan Romberg. Dem Betreiber des „Wirtshaus zur heimlichen Liebe“ in Essen sind von 35 Aushilfen nur noch zehn geblieben. Er kann das verstehen, die Unsicherheit, ob es bei der nächsten Infektionswelle wieder zu Schließungen komme, sei ja nicht weg. Er hofft vor allem auf die Rückkehr jener, die in der Pandemie Arbeit in einem der vielen Testcenter gefunden haben.

Personalmangel kostet Gäste Zeit und Wirte Umsatz

Denn der Personalmangel kostet die Wirte bares Geld. „Wenn das Bier länger dauert, geht mir Umsatz flöten“, sagt Stefan Romberg. Das Geschäft im Sommer ist entscheidend für ihn, der große Biergarten mit Blick auf den Baldeneysee könnte nicht besser liegen, ist in Stoßzeiten aber nur mit vielen Aushilfen zu bewirten. Pro Schicht fehlen ihm ein bis drei Kräfte. Er setze bereits vermehrt auf Schülerinnen und Schüler ab 16, denn: „Ein Student, der uns in den Semesterferien in unserer Hauptsaison hilft, ist inzwischen wie ein Sechser im Lotto.“ Auch Leiharbeiter heuert er inzwischen an, doch selbst die Zeitarbeitsfirmen könnten seinen Bedarf nicht decken.

Immerhin: Seine leitenden Positionen in der Küche und im Service hat Stefan Romberg noch neu besetzen können, die alten Stammkräfte waren sämtlich weg. „Wir haben im Januar, mitten im tiefsten Lockdown, angefangen zu suchen, als die meisten anderen noch gar nicht an Neueinstellungen gedacht haben. Das war eine gute Entscheidung“, sagt der Essener Wirt.

Kunde lässt den König nicht mehr so raushängen

Das Verständnis der Gäste sei gewachsen, ist von vielen Restaurantbetreibern und Hoteliers zu hören. „Dass er König ist, hat der Gast vor Corona einen öfter auch mal spüren lassen. Heute bewegt man sich mehr auf Augenhöhe“, sagt Romberg, der mit anderen Gastronomen einem Expertengremium angehörte, das NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) beriet. Auf das erste frisch gezapfte und servierte Bier nach dem Lockdown warteten die Gäste ohnehin gern etwas länger, das Verständnis sei aber nach wie vor bei den meisten groß. Die wenigen, denen die Geduld abgeht, können allerdings viel anrichten mit schlechten Bewertungen im Internet, meint Romberg.

Aber wie lange das gut geht, wollen die Wirte lieber nicht ausreizen, auf Dauer kann sich die Branche diese Personalnot nicht leisten, ist der Dehoga NRW überzeugt. „Wir erwarten von der Politik, dass sie sich jetzt Gedanken für verschiedene Szenarien im Herbst macht“, sagt Verbands-Sprecher Thorsten Hellwig. Auch wenn alle Betriebe wieder Gäste bewirten, brauche es jetzt eine „Offenbleibeperspektive“, eine Zusage, dass sie bei einem neuen Pandemieschub nicht wieder als erste schließen müssen und als letzte öffnen dürfen. Das sei auch für die Personalsuche entscheidend: Wer nicht sicher sein könne, ob im Herbst der nächste Lockdown kommt, kehre auch nicht in die Gastronomie zurück.

Dehoga fordert Perspektive für den Herbst

Der Dehoga fordert etwa, dass endlich entschieden werde, unter welchen Bedingungen Restaurants auch drinnen Corona-konform öffnen könnten. Eine entsprechende Innovationsklausel hat die Landesregierung ja schon vor zehn Monaten in ihre Corona-Schutzverordnung aufgenommen, nur ist sie aus Sicht der Wirte bisher weitestgehend wertlos. So werden darin Vorteile für Betriebe in Aussicht gestellt, die mit technischem Gerät das Infektionsrisiko minimieren. So könnten bei der Nutzung von Luftfiltern, deren Anschaffung inzwischen förderfähig ist, bestimmte Beschränkungen etwa der Personenzahl oder Abstandsregeln fallen. Das geschehe bisher aber nicht, klagt der Dehoga.